Die Erfahrung im Kloster wollen Achim

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wie z.B. den Aufenthalt im Kloster Shuan Mokh in Thailand.

Artikel

Carsten Dohnke

Der Weg der Liebe führt nach innen

Der taoistische Blick auf Partnerschaft und Sexualität

Die taoistische Tradition ist ein ganzheitlicher spiritueller Weg, der Partnerschaft und Sexualität ebenfalls in den Blick nimmt. Dabei legen die Praktiken ein besonderes Augenmerk auf das Bei-sich-Ankommen und die eigene innere Stabilität. Denn diese bilden im Taoismus die Grundlage für ein erfüllendes Liebes- und Sexleben. 

(Ein Interview von Tattva Viveka, Zeitschrift für Wissenschaft, Philosophie und spirituelle Kultur, für das Sonderheft “Heilige Sexualität” vom November 2021)

Tattva Viveka: Wir sprechen heute über das Thema Beziehung und Sexualität im Taoismus. Die Sexualkraft wird im Taoismus als die Essenz des menschlichen Wesens angesehen. Aus ihr entspringen Kreativität, Vitalität und Spiritualität. Doch beginnen wir bei den Beziehungen: Wenn ich mich umsehe, stelle ich schnell fest, dass vor allem in der westlichen Welt, auf die ich mich jetzt beziehe, Beziehungen häufig von Konflikten und einer gewissen Oberflächlichkeit geprägt und tendenziell weniger langlebig sind. Was machen wir falsch?

Carsten Dohnke: Manchmal funktionieren die Beziehungen tatsächlich, das ist positiv. Aber wo liegen die Probleme? Oft schauen wir wenig nach innen um uns selbst kennenzulernen. Aus unserer Einsamkeit, unserem Alleinsein heraus möchten wir gerne Zeit mit jemandem verbringen. So treffen häufig zwei Menschen mit ihren jeweiligen Traumata oder Lebensgewohnheiten aufeinander und das, was daraus folgt, ist aus asiatischer Sicht Aufarbeitung des Karmas. Es ist kein Geheimnis, dass man aus der unbewussten Ebene heraus bereits vor der Beziehung weiß, welchen Partner man anziehen wird, denn man schwingt mit der Person, die eine ähnliche Resonanz hat.

Tattva Viveka: Wie lassen sich glückliche und langlebige Beziehungen aus taoistischer Sicht aufbauen und erhalten?

Carsten: Ein wichtiger Punkt für tiefe Beziehungen ist das Ankommen bei sich selbst. Die taoistische Tradition ist auch berühmt für ihre Sexualpraktiken. Es wird viel darüber gesprochen und viele Bücher wurden dazu geschrieben, aber die Sexualpraktiken machen keine zehn Prozent des Taoismus aus. Die Praktiken wie Taiji und Qigong, die Traditionelle Chinesische Medizin, die in den Taoismus integriert sind, bilden ein größeres Feld gemeinsam mit Praktiken aus der Mystik, der Heilung und der Meditation. Ein wichtiger Ansatz ist, wie wir mit uns und mit einem anderen Menschen sehr tief in Beziehung treten können. Der folgende Satz bringt, auf den Punkt was sowohl in Beziehungen als auch in der therapeutischen Arbeit wichtig ist, auf: »Ein Schritt nach innen gleicht einem Schritten nach außen«. Je mehr Kontakt ich mit mir habe, mit meinem Inneren und auch meinen Schattenseiten, desto mehr kann ich in Kontakt treten mit der Umwelt und den Menschen, die meine sozialen Beziehungen prägen.

Die Taoisten betonen einen Aspekt besonders: das Bei-sich-Ankommen. Das Bei- sich-Ankommen besteht darin, dass man seinen Geist ausschalten kann und in seinem Bauchraum ankommt, im eigenen inneren Ruhepol. Es braucht Zeit, das zu erlernen, es ist aber nicht schwieriger, als wenn man Klavier oder Gitarre spielen lernt. Nach ein, zwei Jahren kann man bereits eine Menge. Wichtig ist es auch, stabil und gut verwurzelt zu sein. Gelinge es mir, bei mir selbst, in meinem inneren Ruhepol anzukommen, kann ich mein Gegenüber besser wahrnehmen und zuhören. Viele Konflikte in Beziehungen beruhen darauf, dass wir das verlernt haben. Oder wenn wir den Bogen weiterspannen und uns auf die Mystik beziehen: Was ist das tiefste Thema, in dem man spirituelle Erfahrungen macht? Das ist, wenn wir die andere Person wahrnehmen, einen Bezug zu ihr haben und so durch den anderen das Leben und auch uns selbst tiefer fühlen. Auf der spirituellen Ebene ist dies relevant. Hier besteht eine Parallele zu Sexualität und Beziehung, nämlich dass ich dem Leben zuhören und es wahrnehmen kann. Würden wir fünfzig Personen auf der Straße die Frage stellen, ob sie das Leben wahrnehmen, könnten sie die Frage womöglich nicht verstehen. Der Grund ist, dass wir häufig nur um uns selbst kreisen. Das Leben wahrnehmen jedoch heißt zum Beispiel im Urlaub das Meer wahrhaft zu sehen. In einer spirituellen Erfahrung erleben wir uns als das Leben selbst. Wir erleben uns als Teil des Universums, wie die Welle, die sich als Teil des Ozeans erfährt. In einer Partnerschaft kommen wir in Kontakt mit dem Leben. Sexualität ist ein Vorgeschmack dafür, dass uns das Leben begegnet.
Im Taoismus besteht ein tiefer Fokus auf den eigenen Ruhepol und die eigene Stabilität. Das gibt uns die Möglichkeit, harmonisch mit anderen in Kontakt zu treten. Es gibt Praktiken, in denen wir nur in der Stille sind. Andere Bereiche wie Taiji betonen die Bewegung. Der Taoismus hat viele Facetten. Es ist keine kongruente Lehre, die sich nur um einen Aspekt dreht, sondern ein komplexes System mit drei Kernelementen: 1. Selbstheilung und Vitalität, also Gesundheit – viele Menschen sind erschöpft oder gesundheitlich schon an ihrer Grenze angelangt, 2. emotionale Heilung – alsoUmgang mit Stress, aber auch mit inneren Verletzungen. Und 3. Spiritualität. Diese drei Punkte machen den Taoismus aus. Man nimmt dazu den eigenen Geist, bewegt seinen Körper und lernt, seinen Atem zu schulen und zu beruhigen. All das kann durch gesunde Ernährung oder Kräuter unterstützt werden.

Generell ist der Taoismus ein Weg, der über den Körper zum Geist führt

Der Taoismus ist aus dieser Perspektive überaus wichtig für unsere Zeit. Wir tendieren in den letzten 20 Jahren durch Internet und Handy unsere Körperlichkeit zu verlieren. Auch Sexualität und Begegnungen mit anderen Menschen sind körperlich. Wenn ich mich wirklich lebendig in mir fühle, dann gehe ich auch lebendig in eine Beziehung hinein.

Sexualität basiert darauf, dass beide lebendig sind, sonst kommt es zu keiner Partnerschaft. Ausgehend davon, dass wir diese Lebendigkeit und Lebenskraft suchen, haben die Taoisten sehr schöne Meditationen entwickelt, mit welchen wir unser Herz öffnen, die Herzenskraft für innere Heilungsprozesse nutzen und unsere Libido aktivieren können, damit sie uns von innen nährt und trägt. Einerseits ist das einfach, andererseits komplex. Wir können das so zusammenfassen: Es gibt nur wenige Menschen in unserer Zeit, die über ein Übermaß an Lebenskraft bzw. „Qi“ verfügen. Die meisten sind gestresst oder permanent im Kopf. Viele Menschen können ihren Kopf gar nicht mehr abschalten. Sie sind nicht nur innerlich angespannt, sie haben auch den Bezug zu ihrer eigenen Lebendigkeit und Lebenslust verloren. Wenn ich in mir keine Liebe und Freude fühle oder mich gar innerlich leer fühle, suche ich all dies im Außen. Das ist auch ein Grund, warum viele Menschen heutzutage extreme Sachen machen, wie z.B. Bungy- Jumping. Man möchte sich endlich wieder fühlen.

Die Meditationssysteme der Taoisten können für unseren Alltag von Bedeutung sein. Denn der Fokus des Taoismus liegt zunächst einmal auf Lebendigkeit und Gesundheit. Erst an zweiter Stelle stehen Stille und innere Einkehr. Um sich wirklich gesund und lebendig zu fühlen, lernt man in den inneren Praktiken des Tao, die Kraft des Herzens und die Libido zu aktivieren. Beide Kräfte sind nicht nur tiefe Heilkräfte.

Sie fördern auch unsere Kreativität und Lebenslust und unterstützen unser inneres Wachstum und unsere Spiritualität. In den inneren Praktiken des Tao lernt man mit als erstes, diese beiden Energien im Körper zusammenzubringen, und zwar in der eigenen Mitte.

TV: Das führt in die eigene Lebendigkeit

Carsten: Das führt zu einer Lebendigkeit, die über die Vorstellungskraft der Menschen, die dies nicht praktizieren, völlig hinausgeht. Normalerweise können viele Menschen ihr Herz nicht fühlen, aber sie können es fühlen, wenn sie verliebt sind. In meinen Seminaren arbeite ich mit sehr vielen Menschen, die nach ein bis zwei Jahren Praxis auf mich zukommen und sagen: »Ich habe vorher in meinem Leben in der Form mein Herz so überhaupt nie gefühlt.« Das ist wie ein durchgehendes Licht, das einen überwältigt. Es ist nicht so wie verliebt sein, sondern eine Herzenskraft, die einen von innen erfüllt.

TV: Doch die Herzenskraft ist nicht das Einzige, was man im Herzen fühlen kann, oder?

Carsten: Das Herz hat viele Qualitäten. Die Grundidee im Taoismus sowie in vielen anderen Traditionen – beispielsweise im Christentum oder Buddhismus – ist, dass wir unser Herz wirklich öffnen. Aber ein Punkt unterscheidet den Taoismus in Hinblick auf Beziehung und Sexualität von den anderen Traditionen: Die Taoisten versuchen, ihre Libido durch Meditation zu aktivieren und so in den Körper zurückzuführen. Man kann fragen, wie dies mit Partnerschaft zusammenhängt. Die Antwort ist, dass es essenziell ist, diese Lebendigkeit und Liebe erst einmal in sich selbst zu fühlen. Denn dies ist die Basis, um überhaupt jemandem tiefe Lebendigkeit mitzugeben.

Eure Frage zuvor war, welches das Dilemma in den meisten Partnerschaften heutzutage ist, und ich antwortete, die meisten Menschen fühlen sich selbst nicht. Ich würde ergänzen, dass sie erschöpft sind oder ihr Herz und/oder ihre Libido nicht fühlen. Deshalb erwarten sie etwas von der anderen Person. Das macht die Sache komplex: Ich gehe nicht in die Partnerschaft, um in ein tiefes Resonanzfeld einzutauchen, in dem auch ich etwas gebe, sondern eigentlich komme ich mit einem Manko in die Partnerschaft. Trotzdem kann man sich im Leben unterstützen. Die Taoisten sagen: Wenn wir unsere Lebendigkeit selbst in uns aktivieren, dann können wir in tiefe Prozesse der Selbstheilung und der Energiegewinnung kommen. Aber es geschieht auch etwas Besonderes, wenn unsere Herzensenergie und Libido im Bauch zusammenkommen. Eine der tiefsten Meditationen heißt „die Vereinigung von Wasser und Feuer“. Diese führt dazu, dass eine andere Vibration in alle Zellen eindringt. Es ist ein innerer Initiationsprozess, ein Heilungsprozess. Gelingt er, dann ist er mehr als ein Verjüngungsprozess. Die Sexualenergie ist die Grundlage der Kundalini, auch im Yoga. Unten liegt die Sexualkraft. Im Yoga gibt es ähnliche Praktiken Das Thema ist: Wie kann ich Erschöpfung vermeiden, weil ich diese Sexualkraft immer verliere, ob in der Partnerschaft, beim Geschlechtsverkehr oder daß sie einfach so entweicht, was vielen heute passiert? Die Taoisten fanden heraus, dass die Sexualkraft die Grundlage aller Lebendigkeit und aller kreativen Prozesse ist. Jeder kreative Prozess im Leben, ob sich eine Blüte öffnet, jemand ein neues Buch schreibt oder ein Projekt startet, basiert auf dieser tiefen Lebenskraft, die sich entfalten möchte. Wenn Menschen erschöpft sind oder älter werden, sagen sie häufig, dass sie gerne noch ein Projekt machen würden, ihnen aber die Energie fehlt. Die Idee der Taoisten ist folgende: Wir bringen diese beiden Kräfte in uns zusammen und fühlen in uns diese tiefe Lebendigkeit, auch die Sexualkraft als aktive Kraft. Ideal wäre, wenn sich das auch in der Partnerschaft umsetzen ließe.

TV: Würdest du sagen, dass das Ziel von Sexualität im Taoismus ist, diese Lebendigkeit durch Sexualität zu erreichen?

Carsten: Warum zieht es Menschen überhaupt zur Sexualität? Es ist die Lebendigkeit. Niemand wünscht sich Sexualität, um ganz ruhig zu sein, sondern wir spüren eine totale Lebendigkeit in uns. Es heißt nicht ohne Grund, dass ein Orgasmus mit das tiefste Gefühl ist, das ein Mensch in der Vereinigung erleben kann. Deshalb sagten die Taoisten, dass wir diese Energie in uns recyceln sollten, wir nehmen sie auf und wandeln sie in der Meditation um. So erlebt man eine tiefe Lebendigkeit wie in der Sexualität, aber verbunden mit Stille und Stabilität und insbesondere mit der Herzenskraft.

Das ist das, was den meisten Menschen heutzutage fehlt. Ich unterrichte seit mehr als 30 Jahren und höre immer wieder Teilnehmer*innen sagen, dass ihr Leben anders verlaufen wäre, wenn sie eher gelernt hätten, bei sich anzukommen, Liebe auch ohne Partner*in zu fühlen, Lebendigkeit in Präsenz und Ruhe wahrzunehmen. Dies ist ein sehr gutes Fundament für alle Partnerschaften. Viele Partnerschaften wie Freundschaften kommen und gehen heute schnell. Wenn der Partner innerlich nicht mehr anwesend, erschöpft oder überarbeitet ist, fühlt man sich schnell nicht gesehen und auch nicht mehr verbunden. Dies führt dazu, dass der Herzkontakt verloren geht, und dann endet die Partnerschaft meist relativ schnell. Die Evolution hat etwas Besonderes für uns kreiert, was den meisten Menschen nicht bewusst ist: Wenn wir verliebt sind, spüren wir immer eine direkte Verbindung mit dem Partner und befinden uns in einem Herz-zu-Herz-Kontakt. In diesem Zustand ist auch die Kommunikation nicht mehr mental, sondern geht über die Herzebene oder über feine Gesten. Ist man verliebt, blüht alles auf und jeder schwebt auf der rosaroten Wolke. Das ist ein schönes Gefühl, aber wie es heißt, man ist ver-liebt, man ist nicht mehr ganz bei sich und so nicht mehr mit seinem inneren Pol verbunden. Man hat sich bereits ein wenig verloren. In einer Beziehung geht nach zwei bis drei Jahren der Herz-zu-Herz-Kontakt in der Regel verloren, unter anderem weil sich die Hormone auch verändern. Man tritt in eine andere Phase der Beziehung ein. Viele Menschen fragen sich dann, in was sie da reingeraten sind. Das Schöne ist, dass man dies im Taoismus bereits vorhersieht. Auch andere Weisheitstraditionen tun das. Sie sehen dieses Verliebtheitsgefühl als eine momentane Phase. Auch deshalb wird der Kontakt zur eigenen Mitte, Herzenskraft und Libido so betont. Bleiben wir mit diesen Ressourcen in Kontakt, projizieren wir viel weniger auf den Partner. So können wir die Lebendigkeit in der Partnerschaft für eine lange Zeit aufrechterhalten, womöglich auch unser ganzes Leben lang.

TV: Wie kann man diese Herzensverbindung aufrechterhalten?

Carsten: Unter anderem, indem man die nicht einfache, tiefe Entscheidung trifft, regelmäßig innere meditative Praktiken auszuüben. Das ist das Entscheidende. Man kann gewisse Sexualpraktiken in der Partnerschaft umsetzen. Das hilft, aber reicht meistens nicht für eine gute Partnerschaft. Es braucht dieses Innere-bei-sich-Ankommen und eine innere Verbundenheit zu sich selbst. So gelingt es besser im Herzen zu bleiben. Wichtig ist, dass taoistische Meditation, Sexualität und Partnerschaft in zwei Bereiche übergehen, der eine ist Spiritualität und Mystik und der andere Psychologie. Es gibt große Schnittmengen. Bei den taoistischen Sexualpraktiken geschieht es oft, dass man von der Energie überwältigt ist, wenn man die Herzenskraft fühlt oder merkt, wie die Libido aufperlt. Wenn dies eintritt, geht man weniger in die feineren Schwingungen in der Meditation hinein, obwohl dies der Sinn ist. In allen Meditationssystemen der Welt ist es elementar, alte emotionale Themen oder Traumata zu verarbeiten. Dies wäre meines Erachtens der wichtige dritte Punkt für eine gute und tiefe Partnerschaft: Der erste ist ja die Fähigkeit, in seiner Mitte zu sein und abschalten zu können, der zweite die Verbindung zwischen Herz und Sexualität und der dritte Schritt ist, dass ich in meine alten emotionalen Themen eintauche und innere Verletzungen und Traumata heile, weil ich immer mehr mit mir selber im Kontakt bin. Es existieren viele therapeutische Methoden, die ergänzend recht schnell wirken. Unter anderem deshalb, weil die Meditationen bereits helfen, mit den unverarbeiteten Themen oder inneren Schattenseiten in Kontakt zu kommen. Ich hebe dies hervor, weil es häufig nicht getan ist, wenn nur die Energieebene betont wird. Anders gesagt: Seelische Aufarbeitung ist für eine gelungene Partnerschaft unabdingbar. Das innere Kind will gesehen werden. Dies gilt auch für alle spirituellen Praktiken in der Weisheitslehre des Taoismus.

TV: Ich beobachte in meinem Umfeld, dass es Menschen gibt, die wie in einer Schleife gefangen sind, denn in ihren Partnerschaften tauchen immer wieder dieselben Themen, beziehungsweise dieselben Probleme auf. Häufig fällt dies eher Außenstehenden auf, dass sich jemand beinahe in der gleichen Situation wiederfindet wie in der Vergangenheit. Wer spirituelle beziehungsweise psychologisch orientierte Bücher liest und sich selbst und seine Mitmenschen beobachtet, bemerkt, dass Themen immer wieder zurückkehren, bis man ihnen wohl anders begegnet.

Carsten: Hier existieren viele spannende Zusammenhänge. Ich mag den Ansatz der Taoisten sehr: Wir sind in der Welt und haben die Chance zu wachsen und uns zu entfalten; spirituell, aber auch im Alltag können wir unser Potenzial und unsere Liebesfähigkeit und Lebendigkeit entfalten. Es ist interessant, dass gerade die Hirnforschung aufzeigt, dass durch Praktiken wie Qigong oder Taiji, Meditation und Körperübungen sehr gute langfristige Veränderungen bewirkt werden können. Unser Charakter wird durch unseren Körper geprägt. Im Taoismus wie im Qigong geht es um neue Körperstrukturen, neue Haltungen und darum, sich körperlich ganz zu fühlen. Dies ist eine große Chance, seinen Charakter zu verändern, denn alte traumatische Erfahrungen werden durch unsere Körperhaltung gespeichert. Dafür gibt es viele Beispiele: Wenn ich wütend bin, habe ich eine andere Körperhaltung, als wenn ich mich fühle, dass mir im Leben alles zu viel wird oder wenn ich traurig bin. Wir alle nehmen hin und wieder diese dafür typischen Körperhaltungen ein. Der Punkt ist aber: wenn diese Körperhaltungen chronisch und fest in uns werden, sind sie eigentlich „wie Eis“. Wir fühlen sie dann nicht mehr. Sie sind dann Teil unseres Charakters geworden und daher immer anwesend.

Wir fühlen das Eis in uns nicht, sondern nur das, was sich lebendig in uns bewegt. Daher ist es eine Riesenchance, wenn man Körperarbeit mit Meditation und Organheilung verbindet. Ich sehe viele Menschen, die sich grundlegend verwandeln und infolgedessen auch andere Beziehungen eingehen. Dahinter steht der folgende Satz: Eigentlich, wenn wir ganz ehrlich sind, gehen wir häufig lieblos mit uns selbst um. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der alles schneller gehen soll, und von allen wird erwartet, dass sie  besser funktionieren. Bereits in der Schule gibt es die Erwartung, dass man schneller lernen soll, damit man später in der Uni und in seinem Job erfolgreich ist. Wenn wir darauf programmiert sind, gut zu funktionieren, bekommen wir über die Resonanz in unserem Umfeld unsere Belohnung. Die Folge ist, dass wir uns selbst nicht mehr spüren und nicht liebevoll zu uns selbst sind. Es braucht jedoch diesen liebevollen Umgang mit uns selbst, damit wir uns körperlich entfalten können und unsere alten Themen in uns schmelzen. Unsere Liebe scheint wie eine Sonne auf das innere Eis. Auch durch sich bewusstes Bewegen, lassen wir das Eis in uns schmelzen und beginnen, uns wieder zu fühlen.

TV: Was verstehen die Taoisten unter der sexuellen Energie und wie arbeiten sie mit ihr?

 

Carsten: Sie verstehen darunter die Sexualkraft, besonders die Kraft in den Hoden oder Ovarien als die gespeicherte Energie der Fortpflanzung, aber auch die Energie im gesamten Bereich der Sexualorgane. Hier eine zusätzlich wichtige Information: Die Sexualkraft entsteht gemäß der chinesischen Medizin und dem Taoismus in den Nieren. Das bedeutet, dass die beiden Nieren unsere vorgeburtliche oder vererbte Energie speichern und die Sexualkraft hervorbringen. In der chinesischen Medizin gibt es eine Anwendung, die bei Erschöpfung oder Unfruchtbarkeit eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang werden Kräuter für den Blutaufbau, aber in den meisten Fällen für den Aufbau der Nierenenergie verabreicht. Man stärkt die Nieren. Wenn ein Mann impotent ist, akupunktiert man hinten am Rücken auf den Punkten des Blasen-Meridians, wo die beiden Nieren liegen. Oft wird dort zusätzlich die erwärmende Moxa-Therapie verwendet, die viel Kraft gibt. Die Nierenenergie ist immens wichtig, da sie die Sexualenergie hervorbringt. Anders gesagt: wenn man in einer tiefen Erschöpfung ist, nützt es nichts, Sexualpraktiken zu erlernen. Zuerst sollte man die Nierenenergie aufbauen, welche die Sexualenergie hervorbringt. Das unterstützt die Partnerschaft und es wird für eine Frau, die diesen Wunsch hat, einfacher schwanger zu werden. Die Stärkung der Nierenenergie hilft auch, die Potenz des Mannes zu unterstützen und somit z.B. vorzeitige Ejakulation zu vermeiden.

Die Praktiken der Taoisten heißen auf Chinesisch Huan Jing Bu Nao »Man kehrt die Essenz um«. Die Essenz ist die Nieren- und Sexualenergie, weil die Sexualkraft aus den Nieren kommt. Diese Essenz wird zurück ins Gehirn geleitet, damit es gut arbeiten kann und sich dadurch, ähnlich wie in der Chakren-Lehre des Yoga, die höheren Energiezentren sich öffnen können. Als Folge kann sich unsere Intuition entfalten und wir erfahren eine Art innere Weisheit. Umgangssprachlich ausgedrückt, sind diese Übungen “der Hammer”, denn sie verändern das Leben jeder Person und sind nicht allzu schwierig. Es ist wundervoll, wenn die Menschen merken, dass ihre Herzenskraft wie Nektar in den Beckenboden hinunterfließt und auf einmal über die Wirbelsäule eine Lebendigkeit von Liebe und Libido ins Gehirn fließt und der Geist unendlich weit wird. Das ist eine Möglichkeit, wie man mit einem Überschuss an Libido umgehen kann. Wenn dieser Überschuss einmal aufgeperlt ist, wirkt er wie ein eigener Sekt im Körper und man hat nicht mehr unbedingt das Bedürfnis nach Sexualität.

Sexualität braucht immer eine Verbindung mit unseren tieferen Schichten. Männer sind Yang-betont, also aktiv, auch in der Partnerschaft. Wenn ein Mann keine Erektion hat, gibt es keinen Sex. Aus chinesischer Sicht geht die Erektion mit der Energie der Leber einher. Die Leber mit ihrem Blut bewirkt die Erektion, und die Leber hängt mit unserer Power und Dynamik, mit unserer Freundlichkeit, aber auch mit unserer Wut zusammen. Wenn ich als Mann mit innerer Anspannung in die Sexualität oder Beziehung einsteige, vermischt sich die Sexualkraft oft mit innerer Wut. Viele tragen diese Anspannung in sich und wissen nicht, wohin damit. Das lernen wir ja auch nicht in der Schule. Manchmal kommt sie richtig hervor, doch meistens wird sie unterdrückt. Dabei hängt die Leberenergie gleichzeitig auch mit Müdigkeit zusammen. Gerade wenn die Leberenergie stagniert oder überaktiviert ist. Es ist das Gefühl, das man zum Beispiel oft nach einer ausgiebigen Mahlzeit empfindet, man wird müde. Diese Müdigkeit und Trägheit tragen viele andauernd in sich und deshalb sieht man die Wut nicht, doch sie brodelt unter der Trägheit. Dies ist der Grund, warum es wichtig sein kann, dass wir die taoistischen Sexualpraktiken lernen, bei denen wir die Sexualenergie ins Gehirn hochziehen können. Das ist auch für Frauen möglich. Konkret bedeutet das, dass der Mann seinen normalen Orgasmus bei dem es ja zur Ejakulation kommt, eher vermeidet. Durch das Hinaufführen der Libido in die Wirbelsäule und das Gehirn kann er aber gleichzeitig den inneren Stress abbauen und die Sexualkraft zu einer Art Heilkraft oder neuen Lebensenergie umformen, die von innen her alle Zellen mit  frischer Lebendigkeit füllt.

TV: Wie sehen die Taoisten die Rolle der Frau und des Mannes in der Beziehung beziehungsweise in der Sexualität?

Carsten: Für den Mann ist die Verbindung der Sexualkraft mit seinem Herzen wichtig, denn dies geschieht beim Mann normalerweise nicht. Durch die Verbindung mit seinem Herzen kann er tiefer in die Beziehung gehen und womöglich bestimmte Praktiken umsetzen. Es kann dem Mann durch manche taoistische Sexualpraktiken gelingen, länger Sex zu haben. Beide sind im Geschlechtsverkehr, kommen dann zur Ruhe. Ob sie ineinander liegen oder nicht, die Sexualkraft perlt in die Zellen auf, womöglich sogar durch beide hindurch. Dies erzeugt eine immense Nähe zu der anderen Person. Für den Mann ist es daher am wichtigsten, die Verbindung zum Herzen zu erfahren, und gleichzeitig, alte emotionale Verletzungen zu klären. Da die Sexualenergie beim Mann sehr Yang ist und auch von der Leber her bestimmt wird, mischt sie sich wie gesagt leicht mit Anspannung, Stress und versteckter Wut. Das zeigt sich dann besonders bei Vergewaltigungen. Missbrauch und auch Gewalt in der Familie steigen ja bekanntlich an, wenn der gesellschaftliche und persönliche Stress ansteigt. Dies ist ein sehr ernstes und schlimmes Thema. Männer können Sex haben, wenn sie voller Wut sind. Sex wird dann zu einer Art Ventil, um den Druck abzulassen. Frauen können das nicht. Bei der Frau beginnt Sexualität in der Regel mit einem Sich Öffnen und Hingabe. Deshalb hört man auch wenig von Vergewaltigung eines Mannes. Daher ist es so wichtig, dass Männer lernen, sich mit ihrem Herzen zu verbinden und ihre inneren Spannungen aufzulösen.

Viele Frauen berichten mir, dass es ihnen relativ leichtfällt, die Energie hochperlen zu lassen, und sie spüren ihr Herz schnell. Oft geschieht dies bei Frauen wirklich von allein. Das stimmt in vielen Fällen, doch letztlich ist es bei jedem Menschen anders. Welches Thema betrifft eher Frauen? Stabilität und Bei-sich- Ankommen, könnte ich zusammenfassend sagen. Für eine Frau ist es einfach, wenn man nicht in seiner eigenen Mitte und in der eigenen Ruhe ist, in der Beziehung zu verschmelzen und sich womöglich darin zu verlieren. Vielleicht ist es von der Evolution so gewollt, da sie schwanger werden können und die Mutterrolle innehaben. Das mag sich positiv anhören, dieses Schmelzen hat gewisse Qualitäten, aber es geht mit einer Verlorenheit einher. Wenn es zur Trennung kommt, kollabiert dann das eigene Leben. Das sind komplexe Themen, aber nach meinem Erfahrungsschatz hat es mit dem Thema Kinderbekommen zu tun. Wenn ein Kind da ist, hat die Frau viel mehr Nähe zum Kind als der Mann. Der Mann hat auch Nähe zum Kind, aber in vielen Fällen spielt der Mann erst richtig mit dem Kind, wenn es bereits laufen kann. Die Verbindung zwischen Mutter und Kind ist einmalig, sie verschmelzen oft zu einer Einheit und der Mutterinstinkt tritt zutage. Dieses Verschmelzen erleben auch viele Frauen, wenn sie in eine neue Beziehung eintreten oder gar mit ihrem Heim verschmelzen. Der Haken ist, dass viele daraufhin nicht bei sich selbst ankommen. Die Folge ist, dass viele ihre Klarheit verlieren. Wenn ich mit jemandem eins bin, trifft mich jede Kritik tief im Herzen. Frauen fühlen ja oft auch einen tiefen Schmerz oder eine Leerheit, wenn die eigenen Kinder aus dem Haus gehen. Viele kollabieren aufgrund des Schmerzes und finden nicht mehr zu sich selbst. So kehren wir zum Kernpunkt des Taoismus zurück: zum Bei-sich-selbst-Ankommen. Durch dieses Bei-sich-Ankommen entsteht eine tiefere Beziehung zum eigenen Herzen, zur eigenen Liebesfähigkeit und Libido, und damit entwickelt sich die Fähigkeit, mit Klarheit eine Beziehung einzugehen.

Beziehungen brauchen Konflikte, wir leben von Konflikten. Konflikte sind nicht immer negativ, sondern im Beziehungsraum stehen immer Dinge an, die es zu klären gilt, an denen wir uns reiben, sei es zwischen Partnern oder zwischen Mutter und Kind oder in der Firma oder Gesellschaft. Dadurch wachsen wir. Wenn ich verschmolzen bin, bin ich nicht mehr konfliktfähig. Wie kann ich diese Person kritisieren, mit der ich doch eine Einheit bin. Das ist das große Dilemma.

TV: Eine letzte Frage: Wie kann Sexualität heilend wirken?

Carsten: Sie kann heilend wirken, wenn wir das Herz in der Sexualität mit dem/der PartnerIn öffnen und die Energien innerlich zu fließen beginnen. Die taoistischen Praktiken unterstützen das innere Fließen, weil die Energien in alle Organe aufperlen. Es kann aber auch ohne diese Praktiken heilend wirken, wenn man innerlich zu schmelzen und zu fließen beginnt und loslässt. Forschungen ergaben, dass Menschen, die regelmäßig Sex haben, gesünder oder heiler sind in einem ganzheitlichen Sinne als die, die keine Sexualität leben. Das wäre der eine Punkt, der andere ist die innere Heilung, über die wir bereits sprachen. Das Hinaufführen der Sexualkraft ist eine Spezialität der Taoisten. Viele alte Abbildungen, die tausend bis zweitausend Jahre alt sind, zeigen Taositen, die einen Pfirsich halten. Sie drücken symbolisch aus, dass die Sexualkraft in all ihre Zellen aufgestiegen ist, und der Pfirsich symbolisiert Langlebigkeit, Gesundheit und innere Heilung.  Die Forschungen in dem Bereich sind relativ neu, doch manche bestätigen, dass durch regelmäßige Meditation ein innerer Heilungsprozess entsteht und sich in den Telomeren der Chromosomen, also im Bereich der Zellen, eine Art Verjüngungsprozess ereignen kann. Dies kann geschehen, wenn man regelmäßig meditiert und/oder regelmäßig fastet. Aus meiner Erfahrung heraus insbesondere wenn Herz- und Libidoenergie im Körper vorhanden sind und neue Impulse in die Zellen geben. Das als eigene sexuelle Praxis für sich allein, aber auch beim Geschlechtsverkehr, wenn die Liebes- und Libidoenergien in uns wirken. Ich glaube aus meiner Erfahrung heraus, dass die tiefen Praktiken der taoistischen Meditationen zur Zellverjüngung führen. Das heißt nicht, dass man immer jünger wird, sondern dass die Zellen eine Chance haben zu regenerieren – in dieser tiefen Stille der Meditation und durch die neuen Ressourcen, die frei werden. Es ist nicht so, dass man nur still wird, es fließt eine neue Energie hinein, wodurch die Zellen in eine Zellautophagie, eine Zellselbstheilung, eintreten können. So kann der gesamte Körper gesünder werden. Eine tolle Sache, oder?

Zum Autor

Der Sinologe Carsten Dohnke ist heute ein international anerkannter Lehrer für Taoismus und Qigong. Er lehrt den mystischen Weg des Tao und gibt Ausbildungen und Seminare in Detuschland, Holand und Belgien. Er wurde 1963 in Hamburg geboren und begann dort bereits mit 14 Jahren, intensiv Kampfkünste und Meditation zu studieren. Fünf Jahre lang lebte er in Taiwan, Thailand und der VR China und studierte dort mit Shaolin-Meistern und buddhistischen Mönchen

(alle Bilder: pixabay und Privatbesitz)

Was brauchen wir? Und was braucht die Erde?

Über Heilung auf den fünf Ebenen unseres Seins

Carsten Dohnke im Interview mit dem Frankfurter Ring, Juni 2021 (das Interview führte Brita Dahlberg vom Frankfruter Ring)

 

Frankfurter Ring: Was ist das Konzept Deines Trainings „Tao und Qigong –The Art of Living“?

Wir bieten ein Training an für innere Transformation, Heilung und spirituelles Wachstum. Die Idee ist, eine tiefere Verbindung zu uns selbst, zu anderen Menschen und zum Leben zu erfahren. So wollen wir jedem Teilnehmer ermöglichen, seine Kreativität, sein Potenzial und auch seine innere Weisheit leben zu können. Qigong‚ Tao-Meditation aber auch Heilbehandlungen sind dabei wichtige Elemente.

Warum hast Du den Ansatz des Tao gewählt als Deinen Lebensweg?

Die Weisheitslehre des Tao hat mich seit meiner Kindheit fasziniert. Und sie ist heute aktueller denn je zuvor. Denn im Taoismus findet man die explizite Wertschätzung der Natur und die Idee, dass wir als Menschen Teil eines größeren Ganzen sind und im Einklang mit der Natur leben sollten. Zudem umfasst die Lehre des Tao ein komplettes System, dass körperliche Stärke, Geschmeidigkeit und Vitalität genauso schätzt wie Energiearbeit, Meditation und Heilung. In dem Bild des Elefanten haben wir die wichtige Praktiken des Tao zusammengefasst. Entscheident ist dabei, wie sich diese gegenseitig unterstützen. Das wird besonders in dem Zusammenwirken von Körperpraktiken, Meditation und traditioneller chinesischer Medizin deutlich.

 

Wieso ist die Weisheitslehre des Tao so aktuell in unserer Zeit?

Wir leben jetzt im digitalen Zeitalter. Die meisten Menschen haben den Bezug zu ihrem Körper und auch zur Natur verloren. Viele sind den ganzen Tag „mental“ unterwegs, vom komplexen Alltag überfordert und im Dauerstress. Da reicht es meiner Ansicht nach nicht, „nur“ zu meditieren und dabei abzuschalten – obwohl ich das gerne mache und sehr gerne unterrichte. Es bedarf auch der „Wiederentdeckung unseres Körpers“ und der Kultivierung und Stärkung unserer Lebensenergie als Vehikel für eine innere Transformation, aber auch für unsere Lebendigkeit, Lebensfreude und Heilung. Ob im Qigong, Taiji oder in den taoistischen Meditationen: immer wird betont, bei sich selbst anzukommen, die eigene Mitte und Lebenskraft zu stärken und gut geerdet zu sein. Zudem treffen wir gerade auf die größten Themen unserer Zeit: den Klimawandel, das Artensterben und auch das Sterben der Ozeane. Da reichen nicht nur politische Maßnahmen. Wenn wir im Herzen fühlen, dass wir ein Teil des Lebens sind und der Natur sind, sind wir auch bereit notwendige Schritte von innen her mitzutragen. Denn erst was uns emotional berührt, bewirkt eine Neuausrichtung unseres Handelns.

 

 

Du sprichst oft von Heilung auf den fünf Seins-Ebenen. Was ist damit gemeint?

Wir sind komplexe und vielschichtige Wesen. Um innere Transformation und spirituelles Wachstum zu ermöglichen, ist es nach meiner Ansicht wichtig, alle unsere Seins-Ebenen zu integrieren. Das ist ein Kernpunkt unseres Trainings und aller Seminare. Diese Ebenen sind gleichzeitig Ebenen der Heilung und Integration. Es handelt sich dabei um eine alte „innere Landkarte unserer Existenz “ aus dem asiatischen Raum, die eins zu eins mit der Weisheitslehre des Tao konform geht. Unsere verscheidenen Seins-Ebenen wie z.B. der physische oder emotionale Bereich werden dabei als “Körper” bezeichnet. Auch Konzepte moderner Therapieformen, wie z.B. die Neurobiologie von Dr. Klinghardt, basieren auf dieser Landkarte.

Kannst Du diese „innere Landkarte“ genauer erläutern?

Diese Landkarte erläutert die Verbindung von unserem Körper und Geist. Sie sagt aus, dass die Arbeit mit unserem physischen Körper und unserer Energie die Basis ist für Heilung und Veränderung. Unser physischer Körper entspricht dabei unserer grundlegenden Seins-Ebene. Die Lebenskraft, die wir in uns spüren, ist unsere zweite Seins-Ebene. Diese wird auch energetischer Körper genannt. Man kann z.B. recht gesund sein, aber trotzdem erschöpft. Dann hätte man ein Manko auf der zweiten Ebene. Langfristig würde sich das natürlich auch körperlich und emotional bemerkbar machen.

Unser mentaler Körper, auch emotionaler Bereich genannt, ist unsere dritte Seins-Ebene. Klingt komplex, ist aber einfach: Hier werden unsere persönlichen Erfahrungen gespeichert. Somit ist er auch der Ort unserer Emotionen, unverarbeiteten Konflikte und Traumata. Auch unsere Glaubenssätze entstehen hier. Diese Ebene mit einzubeziehen ist von großer Wichtigkeit. Denn wenn wir unsere Schattenseiten und Konflikte nicht integrieren und lösen können, ist es so, als ob wir beim Autofahren stets auf die Bremse treten. Wir werden nirgendwo ankommen. Daher ist diese Ebene eine der größten Blockaden auf dem Weg von Wachstum und Erkenntnis. Viele innere Praktiken sind auf diese Ebene spezialisiert.

Die vierte und fünfte Seins-Ebene werden als intuitiver Körper und Ebene des Geistes oder der Einheit bezeichnet. In geführten und stillen Meditationen können wir hiermit in Verbindung treten. In der vierten Seins-Ebene erlebt man ein Schmelzen der eigenen Grenzen und eine Anbindung an die Kräfte des Kosmos. Diese Ebene kann alte Themen in der Ahnenlinie und im Familiennetzwerk lösen und verbindet uns gleichzeitig mit kosmischen Energien. Manchmal kommt es hier auch zu außerkörperlichen Phänomenen, Visionen oder ähnlichem. In vielen Tao-Meditationen betritt man bewusst diese Dimension. Zum einen weil hier alte Themen aufgelöst werden können, zum anderen weil sie ermöglicht, kosmische Kräfte und Informationen „wie ein Download“ in den eigenen Zellen zu speichern.

Die Ebene des Geistes wird auch auch als Ebene der Non-Dualität bezeichnet. Zentrales Element dieser Ebene ist, wie das Wort schon sagt, dass wir hier „Erfahrungen der Einheit“ machen, also ein Schmelzen mit dem „Sein“, dem „Tao“ erleben. In stiller Meditation kann diese Dimension manchmal ganz fein wie ein Geschmack durchscheinen. Hier treten wir in eine Art Zeitlosigkeit ein, wie eine Rückkehr an unseren Ursprung. Anders ausgedrückt: „Weil wir innerlich leer werden, kann uns das Leben erfüllen“. Daher kann diese Dimension uns tiefgreifend verändern. Oft erweckt sie ein Urvertrauen in das Dasein und löst so in uns weilende Ängste und damit auch ein „inneres Getrieben sein“ auf, das ja viele Menschen in sich tragen. Zudem entfaltet sich hier eine innere Freude und Dankbarkeit, dass wir leben. Und gleichzeitig eine tiefe Demut, denn wir realisieren, das wir Teil von etwas Größerem sind. Alle mystischen Erfahrungen, egal von welcher spirituellen Tradition, ereignen sich auf dieser Ebene. Denn sie geht über unser persönliches Dasein hinaus. Das gesamte Tao-Te-Jing, der Klassiker des Taoismus, ist von der Ebene des Geistes durchdrungen. Das Zeichen „Tao“ bedeutet ja auch „Geist“, „Uranfang“ oder „Sein“.

 

Wir wirken die fünf Seins-Ebenen zusammen?

Die fünf Seins-Ebenen sind alle vernetzt. Und diese Vernetzung hält einige interessante Erkenntnisse für uns bereit:

 

Wie schon gesagt bilden unser Körper und unsere Lebensenergie die Basis für Heilung, Entfaltung und Wachstum.

Wirkliche innere Transformation ereignet sich aber auf den höheren Seins-Ebenen, diese gehören ja auch zum Bereich des Unbewussten und der Transzendenz. Hier werden 99% unserer Entscheidungen getroffen. Die Erfahrungen und Einsichten, die wir hier gewinnen, wirken wie neue Impulse auf seelischer Ebene und haben eine unglaubliche Kraft. Sie können aber nur in die Welt gebracht und gelebt werden, wenn wir uns auch körperlich frei, lebendig und vital fühlen. Wenn wir in einer Meditation eine spirituelle Erfahrung machen oder wahrnehmen, wie sich ein kreatives Potenzial im unserem Leben entfalten möchte, dann können wir das nur umsetzen, wenn unser Körper und unsere Energie da mitspielen. Ansonsten verblassen diese Erfahrungen in uns wie ein schöner Traum und werden nichts mit unserem Alltag zu tun haben.

Die Arbeit mit der dritten Seins-Ebene, dem mentalen Körper, ist von größter Wichtigkeit. Denn unverarbeitete Emotionen, Traumata und verneinende Glaubenssätze wie z.B. “Ich darf und kann nicht gesund sein” bestimmen unbewußt unser ganzes Leben. Hier dreht es sich eigentlich um die Aufarbeitung unserer Lebensgeschichte. Blockierungen auf dieser Ebene schränken unsere Lebensenergie und körperliche Verfassung immens ein. Zudem wirken sie auch wie ein Deckel für die höheren Seinsebenen. Sie schneiden unsere Verbindung zu unser inneren Weisheit, zu verborgenen Potenzialen und “zum Tao” in uns ab.

Die ersten drei Seins-Ebenen betreffen unsere Persönlichkeit, die vierte und fünfte Ebene gehen weit darüber hinaus. Beide haben mit den großen Themen des Lebens zu tun wie: „Was ist Leben“, Wer bin ich“, „Wie können wir Leiden auflösen“ oder den großen Frage der Mystik wie z.B.: „Gibt es etwas, dass nie geboren wurde und nie stirbt“? Deshalb steckt in ihnen ein enormes Potenzial. Die Taoisten und alle spirituellen Systeme betonen bewusst stets die Meditation und innere Einkehr. Disharmonien und Defizite, die wir auf einer Ebene wahrnehmen, sind nicht unbedingt hier entstanden. So haben viele körperliche Schwächen oder Erkrankungen ihre Ursache in seelischen Konflikten auf der dritten oder vierten Ebene. Damit wäre auch die Lösung oder Heilung auf diesen Ebenen. Dies körperlich zu erfahren, ist für viele Menschen wie ein „Game Changer“.

Es gibt Impulse von unten nach oben und von oben nach unten. Veränderungen im physischen oder energetischen Körper bewirken eine neue Öffnung für Impulse und Energien der höheren Seins-Ebenen. Meditative Erfahrungen im intuitiven Körper oder auf der Ebene des Geistes wirken auch heilend auf die unteren Ebenen.

Als Symbol für das Zusammenwirken der fünf Ebenen des Seins haben wir übrigens einen Eisberg im Ozean gewählt. Der Ozean symboliert dabei die Ebene der Non-Dualität oder das Tao. Diese Ebene geht nach Ansicht aller spirituellen Traditionen über unser jetziges Leben hinaus, hat aber mit unserer Individualität nichts mehr zu tun. Interessant ist auch, dass der Eisberg eigentlich nur gefrorenes Wasser oder “gefrorener Ozean” ist, also Lebendigkeit in strukturierter und teils stagnierter Form. Im Westen nennen wir das gerne “Persönlichkeit”.

 

Warum hast Du auch westliche Ansätze zum Stressabbau und für Selbstentwicklung integriert?

Weil die dritte Seins-Ebene, also die Ebene unserer Emotionen und inneren Verletzungen, so immens wichtig ist. Auch in der Weisheitslehre des Tao wird diese Ebene beachtet. Aber nicht jeder Seminar-Teilnehmer kann endlos lange meditieren, um innere Themen zu lösen. Zudem sind viele Menschen in dieser digitalen Zeit in ihren Stressmustern und Gedankenwelten wie gefangen. Und moderne westliche Techniken aus dem Bereich Stressabbau, Therapie, Wahrnehmung oder Coaching wirken sehr effektiv, denn sie sind genau auf diese Ebene spezialisiert und für uns konzipiert.

Ein Beispiel dafür ist die Tao-Kommunikation, die wir gerne in alle Seminare integrieren – eine meditative Form der Kommunikation, in der man wie ein Heiliger einer anderen Person länger vom Herzen zuhört und ihr am Ende mitteilt, welche positiven Qualitäten man in ihr sieht oder was vielleicht als nächster Schritt im Leben anliegt. Viele Teilnehmer sind davon tief berührt und oft kommt es dabei zur Heilung alter Themen und zu neuen kreativen Prozessen.

Obwohl dies keine therapeutische Praxis sein soll, hat sie sehr heilende Qualitäten. Denn unsere emotionalen Verletzungen sind generell in Beziehung mit anderen Menschen entstanden, weil wir uns nicht geliebt, verletzt, übergangen, nicht angenommen oder nicht gesehen fühlten. Daher können sie auch im Beziehungsraum am leichtesten geheilt werden. Dazu braucht es aber die mitfühlende Präsenz einer anderen Person. Eine Kommunikationsform, in der uns jemand vom Herzen wahrnimmt, zuhört und unsere inneren Qualitäten wertschätzt, ist daher Gold wert.

Ich gebe hierzu mal ein Beispiel: Viele spirituell interessierte Menschen fahren gerne nach Asien oder auch in andere Länder, um dort einen Meister oder eine spirituelle Meisterin aufzusuchen. Und was wünscht man sich, wenn man so eine lange Reise macht? Das der Meister gerade sehr beschäftigt ist, wenn man ihn antrifft und einem dann ein Buch gibt mit vielen Übungen, die man die nächsten Jahre machen soll? Niemand wünscht sich das. Denn es berührt uns nicht. Wir wünschen uns, dass wir in unserem Sein erkannt und gewürdigt werden. Das uns jemand zuhört, unser Leid und unser Potenzial erkennt und auch bezeugt. Das kann lebensverändernd wirken, denn erst dieser liebevolle Kontakt lässt verborgene Qualitäten von uns in ein größeres Feld eintreten und macht sie dadurch lebendig. Und als kurze Frage: wer kann heutzutage schon wirklich zuhören?

Welche Beziehung besteht zwischen den Fünf Ebenen des Seins und der sozialen Ebene?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Prozesse der Heilung, Transformation und spirituelle Erkenntnisse leichter möglich sind, wenn alle Seins-Ebenen fördernd zusammenwirken. Das macht die Seminare und besonders unser Training „Tao und Qigong – The Art of Living“ zudem sehr interessant. Gleichzeitig sind wir auch soziale Wesen. Daher braucht es für Heilung generell auch eine soziale Ebene, eine „Wir-Ebene“, wie schon der moderne Philosoph Ken Wilber sagte. Denn Heilung bedeutet ja auch Ganzwerdung. Als Individuen könnten wir nicht einmal überleben. Und je enger die Beziehungen, die wir eingehen, desto größer sind ja oft die Probleme. Für unsere „Ent-Wicklung“ sind Praktiken in Gruppen oder mit einem Partner daher sehr förderlich – Praktiken, in denen wir uns berühren, fühlen oder wahrnehmen. Das ist besonders auf spiritueller Ebene sehr interessant.

Unterstützt die soziale Ebene denn auch den spirituellen Fortschritt?

Viele Menschen denken bei spirituellen Erlebnissen an Licht- und Energieerfahrungen. Oder an Zustände tiefer Stille. Das allein trifft aber nicht den Kern: Alle spirituellen Traditionen betonen, dass wir von etwas berührt und durchflutet werden, dass größer ist als unsere persönliche Existenz. Daher wird ja auch immer vom „Tao“, vom „Göttlichen“ etc. gesprochen. In einer mystischen Erfahrung kommt es dabei gar zur Auflösung unserer Person. Das, was uns berührt, ist ja nichts außerhalb von uns oder weit weg, sondern in anderen Worten „das Sein“ an sich. Insofern haben Praktiken, in denen wir lernen andere wahrzunehmen und zu fühlen auch eine vorbereitende mystische Qualität. Denn ein Mensch, der uns tief berührt, weil wir ihm einfach zuhören und dabei vom ganzen Herzen präsent sind, symbolisiert ja in diesem Moment das Leben.

In der Realität erlebe ich hier allerdings oft eine Abspaltung: unerlöste Themen des „verletzten Kindes“ und die Unfähigkeit gesunde soziale Bindungen einzugehen führen oft dazu, dass Menschen in ihrer Einsamkeit Trost und Erlösung im Göttlichen, bei einem Guru oder in der Abgeschiedenheit der Meditation suchen. Oder sie überdecken die inneren Verletzungen mit körperlicher Stärke, permanentem Tun und Machen oder einem stetigen„sich beweisen wollen“. Oft so geschickt, dass sie diese gar nicht mehr wahrnehmen. So funktioniert das aber nicht. Man ist dann voll in einer Projektion gelandet. Das Resultat dieser inneren Abspaltung bekommt man dann im Leben immer wieder serviert. Enge und intime Beziehungen sind da der beste Lehrmeister, wie auch alle Therapeuten wissen.

Und inwiefern hat unsere spirituelle Entwicklung einen Einfluss auf unser Handeln?

Da komme ich noch einmal auf den Anfang zurück: Wir leben nicht mehr vor 2000 Jahren und begegnen gerade den größten Umwälzungen der Menschheitsgeschichte: der Klimakrise, dem Sterben der Meere und der Artenvielfalt. Das ist alleine schon traurig genug. Noch trauriger ist, dass wir dazu im Kleinen wie im Großen nur zusammenarbeiten und vom Herzen kommunizieren müssten. Das können wir aber anscheinend nicht. Wir kreisen zu sehr um uns selbst, gefangen in unseren Konflikten und Ängsten, ohne eine tiefe Version, wer wir sind. Da wir in der Regel keinen wirklichen inneren Kontakt zu uns selbst haben, können wir auch keine tiefen Beziehungen zu anderen Menschen, zur Natur oder gar zum Leben, zum „Tao“ erfahren. Geschweige denn 20 oder 50 Jahre voraus fühlen. Das ist der Grund, warum viele Menschen, Unternehmen und Regierungen, solange sie nicht immens direkt betroffen waren, bisher versuchten, die Veränderungen der Welt, den Klimawandel und das Sterben der Arten zu ignorieren. Oder alles Handeln aufzuschieben. Der Kernsatz war und ist immer noch für viele: „Wichtig ist, dass wir billig davonkommen!“ Wir erleben uns bisher nicht als Gast auf dieser Erde und als ein Teil der Natur. Daher fühlen wir in unserem Herzen auch keine wahrhafte Verbindung zur Natur, die ja automatisch zu einem neuen ethischen Handeln führt. Wenn sich unsere Sichtweise nicht recht schnell ändert, hat das dramatische Folgen für unser Leben auf der Erde, wie wir alle wissen. Insofern bieten uns spirituelle Praktiken eine riesige Chance. Und weil die Weisheitslehre des Tao in all ihren Facetten diese Verbindung zu uns selbst, zur Natur und zum Leben so betont, ist die Lehre des Tao meines Erachtens heutzutage so aktuell, wie nie zuvor.

Haben diese Erkenntnisse Dein Training beeinflusst?

Definitiv! All das hat mich und auch meine Partnerin Dewi motiviert für die Gestaltung eines neuen Trainings. Auch die Seminare haben sich dadurch verändert. Zusammengefasst lässt sich sagen: es dreht sich um jeden Einzelnen von uns und um das Leben. Anders ausgedrückt: Gesundheit, Qigong, auch Stärkung des Körpers und Vitalität sowie die Aufarbeitung unser Schattenseite sind uns immens wichtig. Noch wichtiger ist uns aber, dass wir eine neue innere Vision bekommen, wer wir sind, und uns als Teil eines größeren Ganzen erfahren. In der Mystik spricht man ja auch von der Entdeckung unserer wahren Natur. Aus dieser höheren Sicht, Einbettung, inneren Berühtheit und vielleicht auch Demut kann sich dann unser Handeln leichter verändern. Und zudem können wir so unsere innere Weisheit, Kreativität und bisher verborgene Potentiale leben.

Was liegt Dir oder Euch in den Seminaren oder im Training „Tao und Qiong – The Art of Living“ besonders am Herzen?

Wie etwas beginnt. Man bezeichnet das auch als das Gesetz des Anfangs. „Jeder Anfang trägt ein Geheimnis inne“, wie schon Hermann Hesse sagte. Daher ist es wichtig, wie etwas beginnt. Das Zeichen „Tao“ besteht ja auch aus den Elementen „Kopf“ und „Fuß“, wörtlich übersetzt „Der Anfang, der sich manifestiert“. Unsere wahre Natur, die Ebene des Geistes oder das Tao sind ja schon da. Das Tao muss also nicht neu erschaffen werden. Unsere Persönlichkeit verdeckt es nur. Es ist schon da, hier und jetzt. Wenn wir daher mit einem Fokus auf „machen und üben beginnen“, mit dem Wunsch „besser zu werden“, enden wir generell im Üben. Die Seele steigt dann schnell aus und unsere Persönlichkeit übernimmt. So wir hören auf, die Gegenwärtigkeit wahrzunehmen, zu fühlen „was ist“. Wenn wir aber mit Präsenz und dem Schätzen des Augenblicks beginnen und das auch weiter praktizieren, beginnen und enden wir im Sein. Erst dann zeigt sich das Leben in seiner Tiefe. Das braucht aber etwas Zeit und auch Stille. Denn das „Tao“ spricht nicht so laut. Alle Weisheit und tiefe Erkenntnis beginnen hier.

Dein Körper als Tor zum Sein

Mein Körper, mein Zuhause

Ich kann ein Feuer in meinem Haus nur löschen, wenn ich zuhause bin.

So ist es auch bei inneren Prozessen oder emotionalen Themen. Die natürliche Verbundenheit mit meinem Körper ermöglicht mir persönliches und spirituelles Wachstum und die Aufarbeitung alter Lebensthemen. Das Problem ist allerdings: Die meisten Menschen haben nur wenig Bezug zu ihrem Körper und zu sich selbst. Wir sind oft angespannt oder erschöpft, „kreisen wie Gefangene“ in unseren Gedankenwelten, lehnen unseren Körper ab oder peitschen uns durch anstrengende Fitnessprogramme, um „fit“ zu sein, gut zu funktionieren oder toll auszusehen.

Bei mir ankommen

Wirklich bei sich anzukommen, geht aber immer einher mit Selbstakzeptanz und Selbstliebe und einem Gefühl von „nach Hause kommen“. Warum ist das so wichtig? Erst wenn ich meinen Körper wie ein eigenes Haus wahrnehme, kann ich auch durch die verschiedenen inneren Zimmer schreiten. Und dort aufräumen und frische Luft reinlassen.

Dieses Ankommen in mir selbst wird in den Ansätzen von Tao, Qigong und Taiji besonders betont. Und es ist nicht nur der Fokus auf Stille und Ruhe, der dazu führt. Sondern vor allem das Training von Feinmotorik, Balance-Übungen, aktivem Körpertraining und tiefem Atem. Dieses Zusammenspiel führt zu einer neuen Vernetzung mit mir selbst – ich beginne mich wirklich zu fühlen und gleichzeitig in mir zu ruhen. So entwickelt sich ein natürliches Selbstwertgefühl, die Fähigkeit Stress schneller zu verarbeiten und in Krisen stabil zu bleiben. Zudem stärke ich meine Lebensenergie „Qi“, erlebe mehr Freude, Leichtigkeit und Mut im Alltag und gehe durch den neuen „Bezug zu mir selbst“ auch gesündere Beziehungen ein.

Authentische Verbundenheit

In einer Meditation ist es nun leicht die Innenräume meines Hauses zu betreten. So lässt man in der Weisheitslehre des Tao oft die Liebe des Herzens wie eine nährende und heilende Sonne in die inneren Zimmer, z.B. in die Organe, scheinen. Auch dies ist eine physische Erfahrung: Es fühlt sich so an, als ob man nach innen sinkt und der Raum zwischen den Zellen weiter wird, einhergehend mit einer inneren Stille und einem Getragen sein. Geht diese Innenschau mit Akzeptanz und Selbstliebe einher, können nun alte Gefühle, aber auch Traumata und unsere Schattenseiten zum Vorschein kommen und langsam „wie Eis in der Sonne“ zu schmelzen beginnen – diese Integration lässt sich auch gut durch Coaching und therapeutische Arbeit etc. unterstützen.

Und wie von selbst scheint nun auch immer mehr frische Luft und Licht durch die inneren Fenster hinein – ein Geschmack von Freiheit und Sein, das Leben berührt mich. Dies ist der Beginn echter Meditation.

Das Tor zum Sein

Und erst das Zuhause sein in meinem Körper ermöglicht mir, diesen Geschmack „wie ein Download“ in alle meine Zellen aufzunehmen. So kann er in mein Leben, meinen Alltag hineinströmen. Denn meditative Erfahrungen und mystische Erlebnisse können nur in verankert werden, wenn wir bei uns sind.

(veröffentlicht im Frankfurter Ring Magazin September 2020)

Innere Alchemie in unserer modernen Zeit

(Dieser Artikel ist vom Dezember 2019, geschrieben für das Magazin des Taiji und Qigong-Netzwerkes in Deutschland)

Vor einigen Tagen wurde mir in einem Youtube-Interview folgende Frage gestellt: Was brauchen die Menschen in dieser modernen Zeit der Digitalisierung? Meine Antwort war: eine Verbundenheit mit ihrem Körper,die Möglichkeit für einen inneren Heilungsprozess und die Verbindung zu den eigenen Ressourcen. Genau dies ist die Essenz der Inneren Alchemie. Und um es einmal vorweg zu nehmen: Diese wichtige Strömung des Taoismus prägt bis heute indirekt fast alle Stile des Qigong.

Was bedeutet eigentlich „Innere Alchemie“?

Wenn man den Begriff Innere Alchemie hört, klingt es erst einmal nach Mittelalter. Eine kurzgefasste Definition macht es aber interessanter: Innere Alchemie bedeutet, dass wir durch den Fokus unseres Geistes in der Lage sind, unsere Lebenskraft zu leiten und zu zentrieren sowie emotionale Zustände zu verändern. Dadurch können wir eine tiefe Verbundenheit zu uns selbst und zum Leben erfahren. Anders ausgedrückt: Mit Hilfe unseres Geistes können wir im Körper biochemische Prozesse hervorrufen, die unseren gesamten Seins-Zustand verändern. Neben Selbstheilung und Vitalität geht es den Anhängern der Alchemie dabei um ein Ziel: sie möchten durch die reinigende Wirkung der Meditation einen Zugang zu ihrer wahren Natur bekommen. Dieser Zugang soll die Grundlage für eine mystische Erfahrung bilden – ein Eins-Sein mit dem Leben oder die Erfahrung grenzenloser Freiheit. Unter anderem wird dies auch als Befreiung vom „Ego“ oder von allen Leiden definiert. Viele Schulen der taoistischen Tradition strebten aber auch das Ziel eines „Lichtkörpers“ an. Ähnlich wie bei den Buddhisten ist hier die Idee, dass dieser energetische Körper nach dem Tode in einer anderen Dimension weiter existieren kann. Eine schwer umzusetzende Sache, wie wir uns vorstellen können.Im Taoismus gab es übrigens zwei weitere Ausrichtungen: schamanistische Strömungen, die Verbindungen zu höheren Welten anstrebten, sowie verschiedenste Gruppieren, die hauptsächlich Gesundheit und Langlebigkeit verfolgten. Beides finden wir auch im heutigen Qigong wieder.

Und was bedeutet „Äußere Alchemie“?

Die Innere Alchemie stand im alten China über Jahrhunderte der Äußeren Alchemie gegenüber. Alchemie allgemein wird ja als “die wissenschaftliche Beschäftigung mit chemischen Stoffen” definiert, “in deren Mittelpunkt die Umwandlung und Veredelung von Stoffen steht”. Schwerpunkt der Äußeren Alchemie, die es ja auch bei uns im Abendland gab, war nun, durch Kräuter, die Einnahme besonderer Mineralien aber auch Stoffen wie Quecksilber das Leben zu verlängern oder gar Unsterblichkeit zu erreichen. Diese Richtung war lange Zeit sehr einflussreich, denn die Menschen im alten China waren extremen klimatischen Bedingungen ausgesetzt. Auch war die Lebenserwartung nicht sehr lang. Sie suchten daher nach unterstützenden Kraftquellen, die den Körper stärkten und gleichzeitig innere Kälte, Nässe oder Hitze ausleiten konnten. Wie wir nun wissen, hat sich diese Richtung aber bald aufgelöst – die Anhänger haben das Quecksilber nicht gut vertragen. Durch die parallele Existenz beider Strömungen wurden auch die Praktizierenden der inneren Alchemie inspiriert, nach hilfreichen Kräuterformeln zu suchen, die ihre meditative Praxis vertiefen. Zudem kam es durch die Grundideen der Äußeren Alchemie in der westlichen Medizin zur Entwicklung von Pillen und Medikamenten. In den neuesten Strebungen vieler Forscher aus dem Silicon Valley erfährt sogar die gesamte Linie der Äußeren Alchemie eine neue Blüte: Man sucht dort nun tatsächlich nach einer Formel für ewiges Leben.

Die Grundlagen der Inneren Alchemie

Wenn wir uns die Grundlagen der Inneren Alchemie nun einmal genauer anschauen, wird es aber sehr interessant. Denn sie basieren auf den Prinzipien heutiger therapeutischer Arbeit und auch Ansätzen aus dem Coaching:

  1. dem Prinzip der Selbstakzeptanz
  2. dem Prinzip der Selbstorganisation
  3. die Verbindung mit den eigenen Ressourcen

 

All dies stützt sich auf die Verbindung mit unserem Körper oder für unsere heutige Zeit formuliert: die Wiederentdeckung unseres Körpers als eine Grundlage für innere Transformation und spirituelles Wachstum. Ich fange jetzt bewusst einmal von hinten an: Ich kann ein Feuer in meinem Haus nur löschen, wenn ich zuhause bin. So ist es auch bei inneren Prozessen oder emotionalen Themen. Die Taoisten haben schon sehr früh die Verbindung von Körper und Geist erkannt. Die traditionelle chinesische Medizin, die ja direkt mit der Lehre des Taoismus verbunden ist, zeigt besonders in der Lehre der fünf Wandlungsphasen in aller Klarheit auf, in welcher Form Emotionen wie Wut, Angst aber auch überschießende Freude etc. direkt mit den Zuständen unserer Organe verbunden sind. Das Problem ist allerdings: Die meisten Menschen haben nur wenig Bezug zu ihrem Körper. Wir sind oft angespannt, gestresst oder erschöpft und „kreisen wie Gefangene“ in unseren Gedankenwelten und Emotionen.

Auch im alten China nutzten die Anhänger der Inneren Alchemie daher immer Übungen wie Taiji, Tao-Yin oder Praktiken des heutigen Qigong, um ihre Lebenskraft zu kultivieren, sich zu stärken und einen Zustand innerer Balance zu erfahren. Das wissen wir meist. Nun kommt aber ein entscheidender Punkt hinzu: Verschiedene Ebenen unseres Seins bedürfen verschiedener Frequenzen der Heilung. Um meine inneren Ängste wahrzunehmen, alte Gefühle zu verarbeiten oder einen Seinszustand der Verbundenheit mit dem Leben zu erfahren, brauche ich einen Zugang zu meiner Zellstruktur und zu meinem Unbewussten. Bewegungen und Körpertraining werden in der Inneren Alchemie daher nur als eine Grundlage angesehen, um in der Meditation in tiefere Schichten unseres Seins einzutauchen.

Dieses Eintauchen in sich selbst fühlt sich erst einmal so an, als ob man innerlich in seinen Körper absinkt oder sich dort niedersetzt. Dadurch entsteht ein Gefühl von einem offenen Raum und innerer Weite, verbunden mit einem inneren Ankommen und einer Zeitlosigkeit. In der Inneren Alchemie initiiert man diesen Prozess u.a., indem man sich bewusst mit den Kräften von Himmel und Erde verbindet und dann den unteren Dantien spürt. Dieser neue Innenraum ist die Grundlage für alle tieferen Prozesse. Das Leben an sich kann nun durchscheinen. Und jede Praxis, die nun folgt, kommt aus einer tieferen Seinsebene, frei von den kontrollierenden Mustern des Ego. Eine der Grundpraktiken der Inneren Alchemie aus diesem inneren Ankommen heraus ist dann das sogenannte „Nei Guan“, die innere Betrachtung. Wobei meist ein Wahrnehmen der „Landschaft der inneren Organe“ gemeint ist. Einfache Varianten dieser Praxis finden sich heute in vielen Qigong-Stilen als „Inneres Lächeln“ oder „Reise durch den Körper“ etc.

Selbstakzeptanz und Selbstorganisation

Der Schlüssel jeglicher Innenschau ist Selbstakzeptanz: Indem ich meinen Geist nun z.B. liebevoll auf meine Lunge oder Leber richte und mit einer inneren Umarmung wahrnehme, was ich dort spüre oder innerlich sehe, beginnt ein Prozess der Integration – eine Heilung auf physischer und emotionaler Ebene. Denn fast jede Erkrankung oder chronische Stresssituation basiert leider auch darauf, dass ich mich innerlich verneine, ablehne oder nicht mehr selbst liebe. Diese Verneinung bringt mich nicht nur vom Fühlen meiner Selbst und meiner Lebendigkeit weg. Sie schwächt auch mein Immunsystem und führt zu einer inneren Abspaltung. Indem ich nun umarmend wahrnehme, was ist und einfach präsent bin, kann auch das Prinzip der Selbstorganisation des Lebens wirken: es kommt zu einer Veränderung, weil die natürliche Kraft des Lebens nicht gestört wird. Selbstorganisation wirkt immer dann, wenn ein offener Raum verbunden mit innerer Präsenz vorhanden ist. Am Beispiel der Lunge kann sich das so anfühlen: vielleicht nehme ich wahr, wie die Lunge weiter oder größer wird oder wie sich ihre innere Farbe verändert – im Taoismus ist ihr ja eine weiße Farbe zugeordnet. Oder ich spüre, wie die Lunge vitaler wird, wie innere Bilder aufsteigen oder Gefühle wie nicht verarbeitete Traurigkeit zum Vorschein kommen.

Die Verbindung mit inneren Ressourcen

Dies allein ist schon ein Prozess der Selbstheilung und Integration. Und er wird im Ansatz der Alchemie nun bewusst verstärkt, indem man sich in der Meditation mit inneren Ressourcen oder Kräften verbindet. Unsere wichtigsten inneren Ressourcen sind die Liebe unseres Herzens sowie unsere Libido als Quelle innerer Heilkraft und Kreativität. Nicht ohne Grund sind beide wichtige Zutaten vieler Hollywoodfilme. Zudem sind auch Energien der Natur und des Lebens, in die wir als Menschen eingebettet sind, wichtige Ressourcen. Im Taoismus und Qigong bezeichnet man diese generell als die Kräfte von Himmel und Erde oder als „Qi der Natur“.

Die Verbindung mit inneren Ressourcen basiert auf einem der wichtigsten Gesetze des Lebens: Jede tiefe Veränderung braucht Energie. Das ist schon auf Zellebene so. Und gerade in unserer modernen Zeit, in der viele Menschen gestresst und überfordert sind oder nicht ausgeheilte Erkrankungen und Entzündungen in sich tragen, braucht es oft eine zusätzliche Kraft, um einen Prozess der Heilung und Integration zu ermöglichen. Es ist ja bezeichnend, dass viele Menschen im Urlaub erkranken – endlich hat der Körper wieder genügend Energie zur Regeneration.

Unsere Liebe und Libido verschmelzen zu einer Heilkraft

Eine berühmte Praxis der Inneren Alchemie ist nun, dass man die Kraft des Herzens und die Libido mit geistiger Hilfe im Bauch zusammenbringt. Das ist einfacher als es scheint: Man stellt sich z.B. einen See im Bauch vor, der von einer inneren Quelle am Beckenboden genährt wird. Zugleich visualisiert man, dass die Liebe des Herzens wie eine Sonne auf diesen inneren See scheint. Unterstützt durch ein sanftes, mehrmaliges Anziehen des Beckenbodens kommt es dann zu einer Vereinigung beider Energien: Herz- und Sexualenergie verschmelzen im Bauchraum zu einer inneren Heilkraft (1, siehe unten). Diese Heilkraft kann dann bewußt in einzelne Organe oder Drüsen geleitet werden. In fortgeschrittener Praxis entsteht auf diese Weise ein feines Qi, das wie ein „innerer Dampf“ von innen her jede unserer Zellen nährt und verjüngt sowie den Praktizierenden in höhere Bewusstseinszustände trägt.

Die Folge ist eine tiefe Einkehr in sich selbst, die Auflösung des physischen Körpers oder gar die Verlangsamung des Alterungsprozesses.Der Interessante dabei ist, dass man nicht nur Ressourcen aktiviert, sondern wichtige Lebenskräfte zu einer neuen Energie vereint. Die Alchemisten sprechen hier von der Veredelung und Verfeinerung unserer Lebenskraft und die oben genannte Praxis ist dafür nur ein Beispiel. Das Konzept dahinter basiert auf dem Grundgedanken der Alchemisten, dass uns „im Leben die Felle davonschwimmen“. Wir entfernen uns als Erwachsene immer mehr vom natürlichen Zustand eines Kindes, verlieren den Kontakt zu uns selbst und erschöpfen unsere Kräfte. Die Vereinigung verschiedener Energien soll uns die Möglichkeit geben, diesem Prozess entgegenzuwirken und gleichzeitig zu unserem Ursprung zurückzukehren. Eigentlich ist alles so ähnlich wie bei „Asterix und Obelix“: in dem inneren Kessel des Bauchraums sammelt man verschiedene Essenzen für einen Zaubertrank. Und dieser Trank wirkt nicht nur heilend und vitalisierend, er hilft auch, dass wir bei uns selbst ankommen und öffnet eine Tür in höhere Bewusstseinszustände.

 

Innere Alchemie in Alltag

Asterix war damit überfordert, dass die Römer Gallien besetzen wollten. Wir sind heutzutage mit den an Anforderungen des modernen Lebens überfordert. In diesem Sinne trifft die Innere Alchemie den Nerv unserer Zeit, auch wenn sie aus einem anderen sozialen und historischen Kontext stammt. Denn wir brauchen nicht nur Entspannung, sondern vor allem allem Liebe, Heilung, ein Ankommen bei uns selbst und eine Verbindung mit den Kräften des Lebens. Dies ermöglicht neue Wege heraus aus Erschöpfung, Überarbeitung und Selbstverneinung. Für den Alltag kann man sehr gut bewegtes Qigong mit Praktiken wie dem „Inneren Lächeln“ oder den „Heilenden Lauten“ kombinieren – Übungen die auch in vielen Qigongstilen verbreitet sind. Schon nach kurzer Übungszeit kann man sich so recht schnell vitalisieren, entspannen und gleichzeitig das Immunsystem stärken. Tiefere Praktiken brauchen eine gewisse Ausdauer. Wenn man allerdings bereit ist, an einem Intensivkurs über mehrere Tage teilzunehmen, kann man tiefgreifende Veränderungen erfahren, die neue Türen im Leben öffnen und lange anhalten. Das Energiefeld der Gruppe kann dabei eine große Hilfe. Na dann mal los…

  1. Eine wichtige Ergänzung hier wäre, dass die Energie des Beckenbodens direkt mit der Nierenenergie verbunden ist. Zudem ist der Beckenboden ein Zugangstor zum Yuan-Qi (einer tief aufbauenden Energie), dem Qi der Erde und einem fötalen Seinszustand von Urvertrauen. Die Sexualenergie ist also eigentlich nur ein Teil des Ganzen.

Der Taoismus

Dieser Artikel wurde im Tao-Magazin 1994 eröffentlich und später auch in der Zeitschrift Connection aufgegriffen. Mehrere spätere Magisterarbeiten haben Teile des Artikels zitiert.
Der Artikel gibt eine grunddlegende und klare Übersicht über die Geschichte, die konkreten Inhalte und die Entwicklung des Taoismus sowie über seine Bedeutung für unsere heutige Zeit.

 

Der Taoismus als eine der großen Weisheitstraditionen ist weder eine Religion noch eine rein philosophische Lehre. Vielmehr ist er ein sehr praxisorientierter Lebensweg, der Heilkünste, Meditation, Kenntnis der Naturkräfte und Philosophie miteinander verwebt. Ein Weg, der die Schönheit im Leben sieht und sie mit eben diesen Mitteln zur Entfaltung bringt.

Ein Taoist vertritt die Ansicht, dass das Leben eines jeden Menschen etwas Schönes ist. Das “Leben zu pflegen” und in Harmonie mit sich selbst, der Natur und dem Kosmos zu leben, ist das zentrale Anliegen aller Taoisten. Ausgehend von dieser Idee hat sich über die Jahrtausende ein detailliertes System aus Atem- und Körperübungen sowie medizinischen Praktiken entwickelt.
Ein Hauptthema der Lehre des Tao, das sich auch in allen Praktiken wieder findet, ist die stetige Wandlung aller Dinge. In der Natur manifestiert sich dieser Wandel durch das ständige Ineinanderwirken der beiden Hauptkräfte des Lebens, Yin und Yang, des weiblichen und des männlichen Prinzips.
Der Taoismus betont daher den Ausgleich dieser beiden Kräfte in allen Bereichen des Lebens. Zudem lehrt er, dass das Weiche und anscheinend Schwache, das dem Yin zuzuordnen ist, dem Harten und Starken oft überlegen ist. In der Natur zeigt sich dies besonders an der Kraft des Wassers.

Zur Essenz des Taoismus zählen stille Meditation, die taoistische Sexuallehre, innere Alchemie und viele Praktiken des heutigen Qigong. Aber auch Taiji und andere chinesische Kampfkünste, die traditionelle Kräuterkunde und Akupunktur basieren größtenteils auf taoistischem Gedankengut.
Zudem hat der Taoismus während der letzten zweieinhalb Jahrtausende in China viele magische und religiöse Formen hervorgebracht und als eine geistige Strömung fast alle Bereiche des chinesischen Lebens beeinflusst. Dazu zählen Malerei, Kalligraphie, Literatur, Kriegskunst, Astrologie, Philosophie, Naturwissenschaft, Geomantie, Staatsführung sowie das chinesische Alltagsleben.

DIE WURZELN: LAOZI UND ZHUANGZI

Die geistigen Grundlagen des Taoismus wurden im 6.-3. Jh. V. Chr. gelegt. In dieser Zeit sind die beiden wichtigsten philosophischen Werke des Taoismus entstanden: das “Daodejing”, (alte Umschrift: Tao Te Ching) der Klassiker vom Tao und seiner Kraft, und das berühmte Werk “Zhuangzi” (alte Umschrift: Chuang Tzu), benannt nach seinem gleichnamigen Autor. Ohne diese beiden Schriften gäbe es heute wahrscheinlich keine Lehre, die sich als Taoismus bezeichnen ließe. Bis heute berufen sich fast alle Schulen und Vertreter taoistischer Strömungen auf den Inhalt dieser beiden grundlegenden Werke.
Das “Daodejing” besteht aus 81 kurzen und teilweise gereimten Sprüchen und gehört zu den meistübersetzten und kommentierten Werken der Menschheit. Traditioneller chinesischer Geschichtsschreibung gemäß geht es auf den Weisen Laozi (alte Umschrift: Lao Tzu) zurück, der angeblich ein Zeitgenosse von Kongzi (Konfuzius) war und daher um 500 v. Chr. Gelebt haben soll. Die geschichtlichen Angaben zu seiner Person sind allerdings widerspruchsvoll
und legendenhaft.

China war damals noch kein Kaiserreich, sondern ein in verschiedene Fürstentümer zerfallenes Staatsgebiet. Kriege, Hungersnöte und politische Unruhen beherrschten über lange Zeit das Leben. Wie viele andere Denker jener Zeit versuchte Laozi (Lao Tzu) daher eine Antwort auf die Frage zu finden, wie es wieder Frieden geben kann. Das “Daodejing” ist deshalb in vielen Aspekten als ein politisches Buch zu verstehen, dass vorwiegend als ein Ratgeber für die Fürsten geschrieben wurde.

DIE KRAFT HINTER DEN DINGEN

Dies macht auch verständlich, dass sich Laozi in vielen Kapiteln provozierend gegen die Ideen anderer geistiger und politischer Strömungen seiner Zeit richtet: So riefen die Anhänger des Konfuzius dazu auf, wieder Tugendhaftigkeit und Pflichtbewusstsein zu entwickeln, um Einheit und Harmonie unter den Menschen herzustellen, während die Legalisten versuchten, mit strengen Gesetzesentwürfen dem politischen und sozialen Wirrsal Einhalt zu gebieten.
Laozi vertritt im “Daodejing” dagegen einen anderen Standpunkt: Der Frieden unter den Staaten war für ihn nur durch inneren Frieden jedes einzelnen denkbar. Daher fordert er die Menschen und besonders die Fürsten dazu auf, von ihren Wünschen und Begierden abzulassen, die nur zu Streit und Unglück führen, und sich ihrer inneren Natur zuzuwenden. Auf diese Weise kommen sie nach Laozi in Einklang mit dem “Tao”, dem “Weg”.
Tao, als philosophischer Begriff eigentlich unübersetzbar, bedeutet soviel wie höchstes Prinzip des Seins, Welturgrund oder auch geistiges Gesetz des Universums. Das Tao manifestiert sich in der gesamten Schöpfung mit all ihren physischen Erscheinungen, ist aber selbst weder erkennbar noch beschreibbar, sondern steht wie eine höhere Kraft hinter den Dingen. So heißt es im ersten Kapitel des “Daodejing”: Das Tao, das mitgeteilt werden kann, ist nicht das ewige Tao.
Dadurch, dass der Mensch mit dem Tao in Einklang lebt, wird er zum Weisen: Er erkennt seine wahre Natur, versteht die subtilen Gesetze des Kosmos und den Wandel der Dinge. So lebt er in innerer Stille, Einfachheit und tiefer Harmonie.
Diese Verbundenheit mit dem Sein führt dazu, das der Weise “alles vollendet, ohne etwas zu tun”. Er greift nicht in den natürlichen Verlauf der Dinge ein, sondern orientiert sich an den Prinzipien der Natur. So gibt es für ihn nichts hinzuzufügen, wo alles in harmonischer Fülle vorhanden ist.
Über die Verbundenheit mit dem Tao durch die Abkehr von der Welt der Sinne, die Weisen und das Nicht-Handeln heißt es unter anderem im “Daodejing”:

Es gibt einen Anfang des Kosmos,
Die Mutter aller Dinge.
Die Mutter kennen heißt, den Sohn zu kennen.
Den Sohn zu kennen, und doch in Verbindung
mit der Mutter zu bleiben,
Heißt, bis ans Lebensende ohne Sorge zu sein.

Verschließe die Sinne,
Schließe das Tor,
Und Leben ist immer voll.
Öffne die Sinne,
Sei immer vielbeschäftigt,
Und Leben ist jenseits von Hilfe.

Die Weisen treten zurück, und doch sind sie voraus.
Wenn das Selbst aufgegeben wird, wird es verwirklicht.
Wenn das Ich überschritten wird,
gewinnt man Erfüllung.

Im Streben nach Gelehrsamkeit
Kommt jeden Tag etwas hinzu.
Im Streben nach dem Tao
wird jeden Tag etwas weniger.
Vermindere und vermindere weiter,
Bis nicht mehr getan werden muss.
Wenn nichts getan wird, bleibt nichts ungetan.
Die Welt wird durch Nicht-Eingreifen regiert.
Sie kann nicht durch Eingreifen regiert werden.

Das im 3. Jh. v. Chr. in Form von Kurzgeschichten und Dialogen erschienene Werk “Zhuangzi” gilt als eines der größten Meisterwerke der Weltliteratur. Durch seine Themenvielfalt lieferte es vielen Generationen von Taoisten immer wieder geistige Inspirationen. Zhuangzi” nimmt den Grundgedanken des “Daodejing”, die Einheit des Menschen mit dem Tao, auf und entwickelt
diesen in literarisch-poetischer Form weiter.

FREIHEIT UND DIE WANDLUNG DER DINGE

Während das “Daodejing” aber im Ton eines Meisters kurze und knappe Ratschläge gibt, stellt “Zhuangzi” Fragen. Zudem ist “Zhuangzi” das erste Werk, in dem das Individuum im Mittelpunkt steht: Nicht die Harmonie der Gesellschaft und der Frieden des Landes, sondern die Freiheit des einzelnen
Menschen – und besonders desjenigen, der mit dem Tao im Einklang lebt – ist das wichtigste Thema im “Zhuangzi”.
Zwei wichtige und bekannte Abschnitte des Textes sind “der Schmetterlingstraum” und die kurze Passage über “Liezi, der auf dem Wind reitet”. Während im ersten die Wandlung aller Dinge das Thema ist und zugleich in Frage gestellt wird, was ein Mensch überhaupt zu wissen vermag, deutet der zweite an, was “Zhuangzi” unter wahrer Freiheit versteht:

Einst träumte Zhuangzi, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von Zhuangzi. Plötzlich wachte er auf: Da war er wieder wirklich und wahrhaft Zhuangzi. Nun weiß ich nicht, ob Zhuangzi geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Zhuangzi sei, obwohl doch zwischen Zhuangzi und dem Schmetterling sicherlich ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge.

(Da gab es…) ferner Liezi, der sich vom Winde treiben lassen konnte mit großartiger Überlegenheit.
Nach fünfzehn Tagen erst kehrte er zurück. Er war dem Streben nach dem Glück gegenüber vollständig unabhängig; aber obwohl er nicht auf seine Beine angewiesen war, war er doch noch von Dingen außer ihm abhängig. Wer es aber versteht, das innerste Wesen der Natur sich zu eigen zu machen und sich treiben zu lassen vom Wandel der Urkräfte, um dort zu wandern, wo es keine Grenzen gibt, der ist von keinem Außending mehr abhängig.

Das “Daodejing” und das Werk “Zhuangzi” enthalten viele Passagen, in denen meditative Elemente zu finden sind. Beide Werke sind aber in erster Linie philosophische Schriften, deren zentrales Thema die Möglichkeit der Einheit des Menschen mit dem Tao ist. Daher liefern sie keine praktischen Anleitungen für Versenkungszustände.
Auch die Idee, durch Körperübungen die Lebenskräfte zu kultivieren und so das Leben zu verlängern, ist kein Thema beider philosophischen Werke. “Zhuangzi” belächelt sogar in einem Kapitel diese Idee, da sie davon wegführt, mit seiner wahren Natur in Einklang zu sein.
Die Hinwendung zu Atem- und Körperpraktiken und damit einhergehend das Streben nach Lebensverlängerung oder gar “Unsterblichkeit” begann erst in der späten Entwicklung des Taoismus. Damit gewann auch die Kultivierung der Lebenskraft Qi, wie sie heute in vielen Qigong-Übungen gelehrt wird, allmählich ihre gegenwärtige Bedeutung.

YIN-YANG UND DIE FÜNF ELEMENTE

In der Zeit der vorchristlichen Jahrhunderte gab es in China einen Aufbruch des Denkens. Zum einen entstanden, bedingt durch die gesellschaftliche und politische Krise des Landes, eine Vielzahl philosophischer Schulen, von denen die Konfuzianer, die Legalisten und die Anhänger des Tao die wichtigsten waren. Zum anderen gab es erste prowissenschaftliche Ansätze – Versuche, die Geschehnisse der Natur und auch die Veränderungen der Gesellschaft mit Hilfe einfacher Modelle auf rationale Weise zu erklären und eventuell zukünftige Tendenzen vorherzusehen. So entwickelten sich die “Lehre der Fünf Elemente” und die “Yin- und Yang-Lehre.” Beide haben sich über die Jahrhunderte weiterentwickelt und zählen bis heute unter anderem zu den wichtigsten Diagnoseverfahren der chinesischen Medizin. Die Ursprünge der “Yin- und Yang-Lehre” gehen auf das “Yijing” (alte Umschrift:
I Ching), das “Buch der Wandlungen” zurück. Dieses Orakelwerk, das in rudimentärer Form schon im 2. Jahrtausend vor Chr. existierte, trägt die Wurzeln des chinesischen Denkens in sich und bildete eine wichtige Grundlage für die philosophischen Ausführungen von Laozi und Zhuangzi.
Zudem gab es im alten China erste Ansätze von Akupunkturverfahren. Es gab Drogenkundige, die sich mit Heilpflanzen auskannten und ein altes Schamanentum, in dem verschiedene Trance-Praktiken verbreitet waren.
Auch einfache gymnastische Körperübungen waren allgemein bekannt.

Die Wurzeln vieler dieser alten Traditionen liegen wahrscheinlich im 2. Jahrtausend v. Chr., lassen sich heute aber nicht mehr zurückverfolgen. Wichtig ist, dass sie nicht unbedingt als taoistisch zu bezeichnen sind, sondern eher zum allgemeinen chinesischen Kulturgut gehören. Sie haben aber mit dem philosophischen Taoismus, genau wie die neuentwickelten pro-naturwissenschaftlichen Ansätze, ein wichtiges gemeinsames Thema: die harmonische Beziehung des Menschen zum Kosmos und die Beziehung der Menschen untereinander. So konnte es bald zu einer Synthese der verschiedensten Strömungen kommen, die zu einer Weiterentwicklung des Taoismus führte.

DER WEITERENTWICKELTE TAOISMUS

Besonders durch den Einfluss der “Yin-Yang” und der “Fünf-Elemente-Lehre”, der alten schamanistischen Praktiken und der medizinischen Erkenntnisse hat sich in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten allmählich eine neue Form des Taoismus herauskristallisiert, deren Schwerpunkt in der “Pflege des Lebens” bestand.
Der Taoismus wurde nun zu einer umfassenden und praxisorientierten Lehre, die eine Vielzahl von Disziplinen, Übungsformen und Wissensgebiete umfasste. Zu den wichtigsten zählen:

– Philosophie
– Körperübungen
– Atemübungen
– stille Meditation
– Ernährungskunde
– Kräuterkunde
– sexuelle Praktiken
– Schicksalsgestaltung

Es entwickelten sich verschiedenste Schulen und Strömungen, von denen einige zudem vom Buddhismus beeinflusst wurden, der seit dem 2.Jh. n. Chr. in China Fuß gefasst hatte. Außerdem gab es, wie im vorchristlichen China, weiterhin Eremiten, die ihren individuellen taoistischen Weg verfolgten.
Neben stiller Meditation und der Kultivierung des Geistes waren rituelle und magische Praktiken, Techniken zur Lebensverlängerung oder geheime Sexualpraktiken verbreitet. Letztere dienten dem Zweck, die Yin- und
Yang-Kräfte zwischen Mann und Frau zu harmonisieren und die rohe
Sexualkraft innerlich zu verfeinern und so für geistige Zwecke zur Verfügung
zu stellen.
Die wichtigste Veränderung und Neuerung des weiterentwickelten Taoismus war aber die “Suche nach Unsterblichkeit”. Damit wurde eine lang anhaltende Epoche der “Alchemie” eingeleitet.

DIE SUCHE NACH UNSTERBLICHKEIT

Alchemie wird allgemein als “die wissenschaftliche Beschäftigung mit chemischen Stoffen” definiert, “in deren Mittelpunkt die Umwandlung und Veredelung von Stoffen steht”. Im Taoismus trennt man zwischen den Schulen der äußeren und der inneren Alchemie.
Die Anhänger der äußeren Alchemie waren von dem Wunsch beflügelt, das Leben bis zur Ewigkeit zu verlängern und versuchten, die Zerfallsprozesse des Körpers aufzuhalten, indem sie ihm von außen nährende oder chemische Substanzen zufügten. Ihre Praktiken, die in ähnlicher Form auch bei uns im Abendland verbreitet waren und viele Parallelen zur heutigen Wissenschaft aufweisen, zeigten allerdings keine dauerhaften Erfolge. So verlor diese Richtung allmählich an Einfluss und Bedeutung.
Hinter dem Begriff der “inneren Alchemie” verbirgt sich dagegen ein komplexes und über Jahrhunderte gereiftes Meditationssystem, das in vielen Bereichen mit den tantrischen Schulen des Mahayana-Buddhismus vergleichbar ist: In beiden Systemen liegt das Hauptgewicht auf Visualisierungspraktiken und auf der Transformierung der sexuellen Energie in geistige Kraft.
Während der Buddhismus in erster Linie eine Schulung des Geistes lehrt, führt der Weg der Alchemie über die Kultivierung des Körpers zum Geist. Das verbindende Glied zwischen beiden ist die Lebenskraft Qi.

Vergleicht man das menschliche Leben mit einer brennenden Kerze, dann hatten die Anhänger der äußeren Alchemie das Ziel, dass die Kerze ewig weiterbrennt. Die inneren Alchemisten strebten dagegen an, dass das Licht noch scheint, nachdem die Kerze erloschen ist. Sie bedienten sich dazu einer Kombination aus stärkenden Körperübungen, energetischen Praktiken und stiller Meditation. Zudem befolgten sie oft spezielle Diäten und nahmen für gewisse Zeit verschiedene Heilkräuter zu sich, um sich innerlich zu reinigen und die Energien des Körpers zu stabilisieren.

HARMONISIERUNG UND VEREDELUNG DER LEBENSKRAFT

Im Mittelpunkt der inneren Alchemie stand die Bewahrung, Verfeinerung und Veredelung der Lebensenergie Qi.
Die Vorgehensweise der inneren Alchemisten bestand vor allem darin, die Yin- und Yang-Energien und das Kräfteverhältnis der fünf Elemente innerhalb des Körpers auszugleichen. Da die fünf Elemente in der Chinesischen Medizin mit den fünf Hauptorganen des Körpers – der Lunge, den Nieren, der Leber, dem Herzen und der Milz – gleichgesetzt werden, bildete die Reinigung und Harmonisierung der Organenergien einen wichtigen Teil der alchemistischen Praxis. Dieser Prozess wurde durch das Einatmen und Aufnehmen von frischem Qi aus den verschiedenen Quellen der Natur, in der sich ebenfalls die Qualitäten aller Elemente – nämlich Metall, Wasser, Holz, Feuer und Erde – fanden, unterstützt.

Nur wenige sind in der Lage, ihre Lebensenergie
im Bauchraum zu zentrieren und zu speichern

So konnten die Alchemisten nicht nur in eine harmonische Verbindung zur Natur und zum Kosmos treten, sondern über Umwege auch zu der bereits von Laozi verkündeten Einheit mit dem Tao zurückkehren. Nach Ansicht der inneren Alchemisten bestand diese in einem Zustand vollkommener Freiheit jenseits des physischen Seins, denn die gesammelten und vereinten Qi-Kräfte des physischen Körpers wurden durch die Veredelung, die während tiefer Meditation stattfand, in “Shen”, “Geist”, umgeformt, so dass sich innerhalb des physischen Körpers allmählich ein “unsterblicher geistiger Lichtkörper” entwickeln konnte.

SEXUELLE PRAKTIKEN

Als eine der Hauptquellen der Lebensenergie wurde die Sexualkraft angesehen. Diese Energie, die neues Leben schaffen kann, galt für die inneren Alchemisten nicht nur als Essenz ihres Wesens, sondern auch als Basis für Kreativität, künstlerisches Schaffen, Vitalität und Spiritualität.
Eines der wichtigsten Anliegen für das Gelingen der Bewahrung und Veredelung der Lebenskräfte bestand für die inneren Alchemisten daher in der Harmonisierung, Vermehrung sowie Transformierung der Sexualkraft in spirituelle Energie. Mann und Frau lernten, die sexuelle Energie zu bewahren und die Energie der Hoden und Eierstöcke bewusst zu vermehren und über die Wirbelsäule hinauf in das Gehirn, die Drüsen und die inneren Organe zu leiten. Auf diese Weise wurde ein innerer Selbstheilungs- und Verjüngungsprozess eingeleitet, der in fortgeschrittenen Stadien in tiefe meditative Versenkungszustände führte.
Diese sexuellen Praktiken, die während, aber auch außerhalb des Geschlechtsverkehrs – als Form der Meditation – ausgeführt werden konnten und voraussetzten, dass der Mann beim Geschlechtsverkehr nicht seine Samen ergoss, bildeten zudem die Grundlage für die Bildung des “Goldenen Elixiers” – dem eigentlichen Ziel der inneren Alchemisten.

DER LICHTKÖRPER ENTSTEHT

Das “Goldene Elixier” ging nach vielen Jahren der Meditation aus einer Form des “innerlichen Geschlechtsverkehrs” hervor. Die Bildung des “Goldenen Elixiers” erklärt, mit welchen Praktiken die inneren Alchemisten die Entstehung eines “unsterblichen Lichtkörpers” anstrebten. Anstatt Erfüllung in der Welt der Sinne zu suchen und die Lebenskräfte über die Jahre immer mehr zu erschöpfen, lenkten die inneren Alchemisten ihre Sexualenergie sowie die Begierden ihres Herzens nach innen und “befruchteten” sich selbst.

INNERE ALCHEMIE IM 20. JAHRHUNDERT

Zusammen mit den frischen Kräften der Naturelemente, die sie durch spezielle Qigong-Übungen aufnahmen und im Körper speicherten, und den gereinigten Energien der inneren Organe konnte so im Unterbauch, dem “Schmelz-tiegel” des Körpers, eine Vermählung entgegengesetzter Kräfte entstehen – eine verdichtete und veredelte innere Energie, die in der alchimistischen Sprache “Goldenes Elixier” genannt wird. Dieses “Goldene Elixier” bildete sozusagen den Samen für einen “spirituellen Embryo”. Aus der verdichteten und verfeinerten Lebensenergie konnte allmählich der feinstoffliche “Lichtkörper” entstehen, der nach Annahme der inneren Alchemisten auch nach
dem Tod des physischen Körpers unabhängig in der geistigen Welt reisen konnte.

Besonders durch ihre Kombination mit meditativen Vorgehensweisen – wie die Harmonisierung fünf Elemente und dem Ausgleich der Yin- und Yang-Kräfte – wurde die innere Alchemie zur wichtigsten meditativen Strömung des nachchristlichen Taoismus, die in vielen Ausformungen bis in unser Jahrhundert hineinwirkt.
Nicht wenige der heutigen Qigong- oder Tao-Meister sind direkte oder indirekte Nachfolger der alten chinesischen Alchemisten, denn sie lehren meist nicht das “stille Sitzen” und die direkte Vereinigung mit dem Tao, sondern die “Pflege des Lebens” und das Sammeln von Qi-Kräften im Unterbauch.
Zwei der bekannten chinesischen Meister, die heute im Westen unterrichten und von sich selbst sagen, dass sie aus der Tradition der inneren Alchemie stammen, sind Mantak Chia und Zhi-Chang Li.

Versteht man die Erschaffung des feinstofflichen Körpers mehr als ein Ideal oder als eine “hypothetische Möglichkeit”, dann bekommen die Praktiken der inneren Alchemie weit mehr Bezug zum Alltagsleben im heutigen Westen, als sich auf den ersten Blick vermuten lässt. Denn die Alchemisten lehrten nicht nur den bewussten Umgang mit der Sexualkraft, der besonders in der heutigen Zeit vielen Menschen eine Hilfe sein kann, sondern auch eine moderne Form von “Energiemanagement”: Sie wussten, wie sie Überarbeitung vermeiden konnten, lernten ihre Lebenskraft zu zentrieren, konnten durch die Reinigung und Stärkung ihrer Organe Krankheiten vorbeugen und waren Meister darin, durch Körperübungen und Kräuter ihre Substanz aufzubauen und zu bewahren. Neben all dem zeigten sie einen detaillierten Weg, über die “Pflege des Körpers” und die Verfeinerung der inneren Energien tiefe geistige Versenkungszustände zu erreichen.

Viele detaillierte Kenntnisse dieses Weges können uns auch heute von Nutzen sein, denn besonders in den letzten zwanzig Jahren sind zwar Körperarbeit, Therapie und Meditation beliebt wie nie zuvor, aber nur wenige Menschen sind – auch nach Jahren intensiver Praxis – in der Lage, ihre Lebenskraft im Bauchraum zu zentrieren und zu speichern. Und dies ist nicht nur ein Anliegen der Taoisten, sondern eine sehr wichtige Voraussetzung fast aller höheren Meditationsformen der verschiedensten Traditionen.

Die drei Säulen des Qigong

Eine Einführung in die Grundideen des Qigong

 

Qigong ist der moderne Name eines komplexen Übungssystems, das aus der Tradition des Taoismus, Buddhismus und der chinesischen Medizin hervorgegangen ist. CARSTEN DOHNKE beschreibt die drei Säulen dieser Praktiken der Lebenspflege und zieht einen Vergleich zu westlichen Körpertherapien.

Qigong wird in erster Linie mit dem Ziel ausgeübt, den Fluss der Lebensenergie Qi im menschlichen Körper zu fördern. Traditionell chinesischer Auffassung zufolge werden der ganze Kosmos und auch der menschliche Körper von dieser Energie durchdrungen und beseelt. Fließt das Qi harmonisch und in Fülle, dann fühlen wir uns gesund und ausgeglichen, sprühen vor Vitalität und innerer Kraft.

In Kurzform: Wir fühlen uns lebendig und erleben eine Veränderung der Wahrnehmung von uns selbst und der Welt.

 

DIE AUSGANGSSITUATION

Menschen verschiedenster Kulturen und Epochen haben immer wieder festgestellt, dass jedes Wesen die Neigung besitzt, seine eigene Lebendigkeit im Verlaufe seines Lebens immer mehr einzuschränken, den Grand möglicher innerer Erregung, wie er oft bei Kindern vorzufinden ist, allmählich und meist unauffällig zu drosseln. Das geschieht unter anderem dadurch, dass man einige Körperbereiche nur noch eingeschränkt bewegt, bestimmte Muskeln chronisch anspannt und eine innere wie äußere Haltung zu seiner eigenen macht, die Ausdruck eines deutlich vorherrschenden Gefühls ist, alle anderen Gefühle aber ignoriert.

Teile des Körpers, die permanent angespannt sind, werden nicht ausreichend mit Blut und Energie versorgt und lassen sich nur eingeschränkt wahrnehmen. Wer seinen Beckenbereich kaum bewegen kann, wird nur schwer Zugang zu seinen sexuellen Trieben und zu seinen Hauptenergiequellen bekommen. Genauso wenig kann jemand, der aus Angst immer die Schultern hochzieht oder ständig einen krummen Buckel macht, ein intensives Gefühl der Freude empfinden. In der Umgangssprache wird dieser Zusammenhang oft deutlich zum Ausdruck gebracht. Redewendungen wie “Der trägt aber eine Last auf den Schultern!” sind mehr als geläufig.

Es besteht eine lebendige Wechselwirkung zwischen Körper und Geist: Einstellungen zum Leben, zu anderen und zur Welt setzen sich im Körper fest und werden durch ihn auch weiterhin festgehalten. Ob die Einschränkung der eigenen Lebendigkeit immer durch unausgedrückte Gefühle hervorgerufen wird, ist heute Streit der Experten. Die Ursachen chronischer Fehlhaltungen können vielleicht ebenso in falschen Gewohnheiten oder angborenen körperlichen Schwächen liegen, die ja jeder von uns nur zu gut kennt.

 

WAS IST ZU TUN?

Was kann ich unternehmen, um mich ganz lebendig zu fühlen? Zuerst einmal das: Ich versuche, die chronischen Muskelverspannungen und Fehlhaltungen der Wirbelsäule bzw. des Skelettapparates allmählich zu beseitigen. Eigentlich verfolge ich hauptsächlich dieses eine Ziel: ganz natürlich und gerade zu stehen, ohne irgendetwas zu tun. Wenn ich so dastehe, sammelt sich meine Energie automatisch in meiner natürlichen Mitte.

Oft bedarf es nur einiger kleiner Korrekturen. Aber sie brauchen Zeit. Es ereignet sich nämlich ein tiefgreifender Prozess: Die im Körper festgehaltenen und verborgenen Gefühle kommen wieder an die Oberfläche und müssen Schritt für Schritt verarbeitet werden. Diese Verarbeitung geschieht meist auf zwei Ebenen, auf der körperlichen und auf der emotionalen Ebene. So kann es vorkommen, dass ich mich plötzlich wütend oder traurig fühle, auch wenn eigentlich gar kein Anlass dazu besteht. Vielleicht fange ich aber auch an zu schwitzen, spüre ein gewisses Unwohlsein oder habe Verdauungsprobleme. All diese Prozesse sind positiv zu bewerten. Sie sind eine Antwort des Körpers auf die Situation und dienen nur dem Zweck, wieder einen Zustand innerer Ausgeglichenheit zu erreichen. Sobald man anfängt, sich geistig und körperlich zu entspannen, beginnt der Körper diesen Prozess der Selbstregulation. Die Beseitigung chronischer Fehlhaltungen und Muskelverspannungen reicht aber noch nicht aus, um ein intensives Gefühl des Lebendigseins zu erleben. Sie ist nur eine der drei (Haupt-)Säulen des Qigong. Diese Säule hat das Qigong mit vielen westlichen Ansätzen der Körperarbeit und Therapie gemeinsam.

 

DREI SÄULEN DES QIGONG

Im Qigong gibt es aber noch zwei weitere: die Stärkung und Reinigung des Körpers und die Sensibilisierung der Wahrnehmung.
Wer Qigong übt, verbringt viel Zeit damit seinen, ganzen Körper zu kräftigen. Das dient nicht nur dem Zweck, nicht für Krankheiten anfällig zu sein, sondern hat vornehmlich das Ziel, ein hohes Potential an Energie in sich aufnehmen zu können. In der Regel geschieht die Stärkung des Körpers durch lang anhaltende Stehübungen in Verbindung mit besonderen Atemtechniken: Man steht wie ein Fels und hat dabei das Gefühl, dass aus den Füßen Wurzeln hervorspriessen, die immer tiefer in den Boden dringen. Der Atem wird ruhiger und feiner. Seine Kraft erfüllt den ganzen Unterbauch. Warum gerade diese Übung, die in Fachkreisen Stehende Säule genannt wird, dem Aufbau des gesamten Körpers dienlich ist, ist dem Laien oft ein Mysterium. Nach außen hin passiert ja so gut wie gar nichts.
Gerade darin liegt aber das Geheimnis. Die Stärkung beginnt von innen und von unten: Der Unterbauch dehnt sich zu allen Seiten aus. Der tiefe Atem massiert und reinigt die inneren Organe. Ein Gefühl der Wärme breitet sich im Zentrum aus und dringt von dort aus langsam in die Peripherie. Von den Füßen her steigen feine energetische Vibrationen in die Beine hinauf und durchfluten allmählich den ganzen Körper. Mit zunehmender Übungszeit verwandelt sich der Stehende in ein pulsierendes Energiefeld. Dieser Effekt kann nur eintreten, weil die Stärkung des Körpers im Qigong im Zentrum und an den Wurzeln beginnt: Sie trifft den Übenden direkt in seiner Essenz.

Die Sensibilisierung der Wahrnehmung ist die dritte Säule des Qigong. Fast alle wichtigen und bekannten Qigong-Übungen dienen hauptsächlich der Sensibilisierung, also der immer feineren und differenzierteren Wahrnehmung des Körpers, der Gedanken und der Außenwelt. Sensibilität bedeutet aber nicht nur, dass der Übende für die Stimmung der Mitmenschen und die Ereignisse seines Umfelds empfänglicher wird, weil er die Welt mehr aus seiner Mitte heraus betrachtet.

Die eigentliche Veränderung der Wahrnehmung ereignet sich auf einer anderen, der energetischen Ebene: Je tiefer der Übende in die Praxis des Qigong eindringt, desto mehr nimmt er wahr, dass auch um den Körper herum ein feines energetisches Feld existiert. Beginnt er, dieses Feld als Teil seines eigenen Wesens zu begreifen, dann verwischen allmählich die üblichen Grenzen seines Körpers: Das energetische Feld entwickelt sich zu einem sechsten Sinnesorgan. Es wird zu einer Art Spürzone, mit deren Hilfe er die energetische Ausstrahlung der Mitmenschen und der Umwelt direkt – also ohne weitere Sinneseindrücke – erfassen kann. Statt intellektueller Analyse rückt die Intuition in den Vordergrund der Wahrnehmung.

 

DIE HARMONIE DER GEGENSÄTZE

Die Interaktion zwischen Körper und Geist, die ja auch durch Stärkungs- und Sensibilisierungsübungen stattfindet, geschieht nicht nur im Bereich der Muskulatur und des Skelettapparats. In Wahrheit ist der ganze Körper Ausdruck und Begrenzung meines Wesens, denn das Wechselspiel zwischen Körper und Geist ereignet sich auf allen möglichen Ebenen. Die Gelenke, Organe, das Bindegewebe und das Knochenmark gehören ebenso dazu wie die Muskulatur, die Wirbelsäulenhaltung, die Sehnen, die Haut und alles andere.

Durch das Verständnis dieses auf alle Bereiche ausgedehnten Wechselspiels wird ein entscheidender und oft missverstandener Punkt besonders deutlich: Es ist nicht nur das Ziel meditativer Übungen, einen tiefen Entspannungszustand zu erreichen, sondern alle Teile des Körpers in einem harmonischen Zusammenspiel zu erleben.
Viele Menschen besuchen einen Meditations- oder Qigong-Kurs mit der Idee, sich endlich einmal zu besinnen oder zur Ruhe zu kommen. Die Idee des Qigong ist es, innere Ausgeglichenheit, Harmonie und eine Beruhigung des Geistes zu erreichen. Aber dieses Ziel wird nicht erlangt, wenn man sich einfach nur entspannt. Kurz gesagt: Harmonie und Lebendigkeit benötigen eine Struktur.

Spannung und Entspannung kommen immer zusammen. So spricht man im Qigong davon, dass Yin und Yang stets aufeinander einwirken müssen. Wirkliche Ausgeglichenheit wird erst erzielt, wenn entgegengesetzte Aspekte sich miteinander ergänzen. Das ist gut am Beispiel eines Flusses zu verstehen: Wenn ein Mensch lange Zeit übt, dann wird er zu einem großen Strom. Durch einen Strom fließen gewaltige Mengen Wasser. Beobachtet man sein Fließen, so empfindet man ein Gefühl der Harmonie und Lebendigkeit. Wenn jetzt das Flussbett oder der Deich zerstört wird, dann tritt der Strom über die Ufer. Vielleicht bildet sich dort ein See, aber das Fließen und die Lebendigkeit hören auf. Der Fluss fließt nicht ohne sein intaktes Flussbett.
Genauso ist es auch beim Menschen: Ein harmonischer und lebendiger Mensch ist ein Gefäß für Gefühle, Empfindungen und Erregung. Je schwächer und poröser das Gefäß ist, desto geringer ist der Grad der inneren Erregung.

Am Beispiel der korrekten Haltung erklärt bedeutet das: Es ist nur möglich, aufrecht zu gehen, wenn ich bestimmte Muskelpartien anspanne. Der Körper steht nicht von alleine. Diese Grundanspannung gibt mir die Möglichkeit innerer Erregung. Verringere ich sie über ein bestimmtes Maß hinaus, dann führt das zum Verlust meiner Lebendigkeit. So einfach ist das.

 

GEDANKEN, ATEM, BEWEGUNG

Wenn ich jetzt ganz konkret anfangen möchte zu üben, sollte ich mich dreier Hilfsmittel bedienen. Ich benötige die Kraft meiner Gedanken, die Fähigkeit, meinen Atem zu regulieren und die Möglichkeit, mich zu bewegen. Aus der geschickten Kombination dieser drei Hilfsmittel setzen sich alle Qigong-Übungen zusammen. Zum besseren Verständnis werden sie in Basisübungen und höhere Übungen unterteilt:
Typische Basisübungen des heutigen Qigong sind z.B. gymnastikähnliche Streckungsübungen, Selbstmassage, spezielle Atemtechniken, Visualisierungen, Erdungsübungen, Übungen für die gerade Haltung, langsam ausgeführte Tierbewegungen, einfache Meditationspraktiken, Taiji-Bewegungen und heilende Laute.
Viele dieser Praktiken erscheinen dem Laien oft etwas geheimnisvoll. In Wahrheit ähneln sie aber in vieler Hinsicht den heute im Westen verbreiteten Gesundheitspraktiken, Entspannungsmethoden und Therapieformen. Dazu zählen unter anderem viele körperorientierte Psychotherapien, klassische Heilmassage, autogenes Training, biodynamische Massage, Feldenkrais-Training, positives Denken, Aura-Arbeit und vieles mehr.

Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Methoden mit den Basisübungen des Qigong besteht darin, dass beide Ansätze das Ziel haben, Gesundheit und Lebendigkeit wiederherzustellen oder zu erhalten: Sie geben dem einzelnen Menschen die Möglichkeit, seine Erkrankungen zu heilen und sich von seinen Hemmungen und festgefahrenen Verhaltensstrukturen zu befreien, so dass er zu einem glücklichen und aktiven Wesen werden kann. Dieses Wesen hat die Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken, seine Wünsche und Ziele zu verfolgen und die Freuden der Sinne zu genießen.
Höhere Stufen des Qigong gehen über den Ansatz und die Idee der körperlichen und emotionalen Gesundung des Menschen weit hinaus. Sie werden zwar oft unterrichtet, sind aber nur nach langen Jahren des ernsthaften Übens zu meistern.
Auf diesen Stufen erlernt man Techniken zur geistigen Transformation von negativen Gefühlen, die Umformung von sexueller Energie in Bewusstsein, Heilung durch Übertragung von Qi und tiefe, innere Versenkung. Solche Techniken werden in den herkömmlichen westlichen Ansätzen der Körperarbeit nicht gelehrt.

 

MEDITATIVE ÜBUNGEN

Deutliche Parallelen finden sich dagegen im Vergleich mit den verschiedenen Yoga-Systemen, dem Buddhismus und Zen-Buddhismus, den Tantra-Systemen und der christlichen Mystik. Die meditativen Übungen all dieser geistigen Traditionen lassen sich, genau wie die höheren Stufen des Qigong, nicht losgelöst von ihrem geistigen Hintergrund praktizieren. Sie sind eingebettet in das Verständnis ethischer Grundhaltungen und entfalten erst hierdurch ihre volle Wirksamkeit. Denn nicht das private Glück des einzelnen Menschen, sondern die Verknüpfung des Menschen mit dem Kosmos ist das eigentliche Ziel dieser Übungen.
Das erfordert die innere Bereitschaft des Einzelnen, sein Selbst, mit all seinen Wünschen, Gefühlen und Ansichten über die Welt, in den Hintergrund zu stellen und seine Sinne ganz nach innen zu richten.

 

WAS IST QI?

Eines der größten Missverständnisse im Bereich des Qigong und der Meditation ist durch den Begriff Qi entstanden. In China und auch unter den Qigong-Praktizierenden des Westens spricht man dauernd von Qi. Hinter dem Wort verbirgt sich jedoch für viele die große Unbekannte. Einige Stimmen fragen daher nach einer konkreten Definition des Begriffs oder meinen, diese bereits gefunden zu haben.
Auch wenn solch eine Definition sehr wichtig ist und wahrscheinlich viele Missverständnisse klären wird, sollte eines nicht vergessen werden: Qi ist nur ein Name. Ein Name für etwas, was man selbst erfahren kann. Und irgendwie hat es mit Lebendigkeit zu tun. Deshalb frage ich gerne zurück: “Was ist denn Leben?”

(korrigierte Fassung, ursprünglich erschienen im “Dao spezial:Qigong” unter dem Titel “Auf der Suche nach Lebendigkeit”)

Ein Riss im Weltbild

(Veröffentlicht im Tao-Magazin 1995 sowie 20 Jahre später im Taiji-Qiong Jounal)

Von Qi wird häufig gesagt, dass es die Verbindung sei zwischen der
materiellen und der geistigen Ebene. CARSTEN DOHNKE berichtet von Forschungsergebnissen, die dies in anschaulicher Weise belegen. Er weist darauf hin, dass diese Erkenntnisse – sofern wir bereit sind, sie wirklich in unser Bewusstsein dringen zu lassen – unser Weltbild grundlegend verändern.

Als mein Professor mir 1990 sagte, dass ich meine Magisterarbeit nicht über einen daoistischen Text, sondern lieber über den Begriff “Qi” schreiben sollte, war ich enttäuscht. Ich antwortete ihm: “Die Chinesen wissen doch selbst nicht genau, was Qi eigentlich ist. Was soll denn ich dabei Neues herausfinden?”
Die persönlichen Forschungen und Erfahrungen der nächsten Jahre veränderten meine Ansicht dazu wesentlich. Ich vertrete heute nicht nur die Meinung, dass sich wichtige Dinge über das Qi sagen lassen. Was ich in diesem kurzen Artikel sagen möchte, ist folgendes: Ein genaueres Verständnis von dem, was Qi ist und wie Qi wirkt, wird eine tiefgreifende Veränderung unseres gesamten Weltbildes mit sich bringen. Das gilt nicht nur für persönliche Lebensbereiche, sondern vor allem für Wissenschaftsgebiete wie Psychologie, Philosophie, Religionswissenschaft und Medizin.

Die meisten religiösen und esoterischen Lehren dieser Welt vertreten die Annahme, dass der Mensch neben dem rein physischen Körper ein Energiesystem besitzt, durch das das einzelne Individuum mit dem Kosmos in Verbindung steht. Die indische und die chinesische Kultur haben dieser Idee, mit unterschiedlichen Ansätzen und Schwerpunkten, sehr viel Aufmerksamkeit entgegengebracht und über die Jahrhunderte in Indien das Chakra-Nadi-System und in China das Meridiansystem entwickelt. Das Meridiansystem liegt dabei mehr im physischen Bereich als das Chakra-System, welches eher die rein feinstofflichen Aspekte des Seins beschreibt.

In den zugrunde liegenden Lehren beider Systeme wird die Ansicht vertreten, dass ein Netzwerk von nicht-physischen Kanälen und Zentren des menschlichen Körpers von einer nicht unmittelbar nachweisbaren Energie durchflutet wird. In China nennt man diese Qi, in Indien Prana. Erst durch die Existenz dieser Energie gibt es eine Verbindung zwischen dem physischen Körper und dem Rest des Universums. Der Mensch wird so zur “Manifestation eines universellen Energie- und Bewusstseinskontinuums” (1). Dieser Ansicht nach ist der physische Aspekt des Menschen nur die sprichwörtliche “Spitze eines Eisberges”. Und ein separates Selbst, das getrennt von den Dingen der Außenwelt existiert, ist reine Illusion.
Aus streng wissenschaftlicher Sicht gilt diese Theorie über die menschliche Natur als “vollkommen unbewiesen”. Sie begegnet uns weder in unseren Schulbüchern noch an unseren Universitäten, hat keinen Einfluss auf unser traditionelles religiöses Weltbild und spielt nur für wenige Menschen im Alltagsleben eine Rolle.
Das liegt zum einen daran, dass die nicht-physische Dimension des Lebens schwer zu beweisen ist – und Wissenschaft unterscheidet nun einmal zwischen Glauben und nachweisbaren Tatsachen. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass sie vollkommen unserem gesamten Weltbild widerspricht. Daher wird in der westlichen Welt überhaupt nicht in diese Richtung geforscht. Die moderne Quantenphysik geht zwar über den Dualismus von Subjekt und Objekt hinaus, hat aber kaum Auswirkungen auf geisteswissenschaftliche Bereiche. Interessant ist auch, dass die meisten Wissenschaftler, die sich mit moderner Physik beschäftigen, im Alltag nach wie vor nach einem dreidimensionalen Weltbild leben. Nur wenige von ihnen glauben zum Beispiel an Telepathie oder andere schwer erklärbare Phänomene.

Jahrelange Forschung

Der Mensch ist im Westen ein klar abgrenzbares Individuum. Auf dieser Grundlage basiert alles weitere Denken. Der berühmte Satz von Descartes “Ich denke, also bin ich” ist aus buddhistischer Sicht einer der größten Irrtümer der westlichen Philosophie, denn er wurde im Zustand des “Alltagsbewusstseins” formuliert, in dem durch den Trug der Sinne immer die Illusion eines Selbst existiert. Aus diesem Grunde werden auch Qigong-Übungen gerne rein medizinisch erklärt: Qigong wird dann zur Gesundheitsgymnastik, akzeptiert von den Krankenkassen und der westlichen Ärzteschaft.
Gerade deshalb ist es beachtenswert, dass am “Institut für vergleichende Religionswissenschaft und Parapsychologie” in Tokio, unbeachtet von der westlichen Wissenschaft, bereits seit 30 Jahren an der Erforschung des Chakra-Systems, der Meridiane und des Qis gearbeitet wird. Auch in China und in den ehemaligen Ostblockländern gibt es Forschungen in diese Richtung. Das Besondere am Institut für vergleichende Religionswissenschaft und Parapsychologie ist aber, dass der Schwerpunkt der Arbeit darin besteht, der nicht-physischen Dimension des Lebens näher zu kommen. Ziel der Forschungsarbeiten ist es, zu einem tieferen Verständnis der menschlichen Natur vorzudringen und Klarheit über die Prinzipien der spirituellen Evolution zu erhalten.
Dr. Motoyama, Direktor und Leiter des Instituts, hat zusammen mit einem Team von Wissenschaftlern über die Jahre unzählige parapsychologische Experimente durchgeführt. Für deren wissenschaftliche Dokumentation wurden spezielle Messinstrumente entwickelt. Die Ergebnisse sind, wie ich bei einem persönlichen Besuch feststellen konnte, erstaunlich. Nicht nur die Existenz des Chakra- und des Meridiansystems wurde wissenschaftlich nachgewiesen, sondern auch deren Wirkung über den physischen Seinsbereich hinaus. Ein wichtiges Ergebnis ist folgendes:
Viele Versuche haben gezeigt, dass Testpersonen, die seit längerer Zeit meditieren, bewusst über ihr Meridiansystem Qi zu einer anderen Person senden können. Das Besondere bei diesen Versuchen ist, dass sie auch gelangen, wenn beide Personen in verschiedenen elektromagnetisch abgeschirmten Räumen saßen.
Qi kann daher nicht mit einer elektromagnetischen oder ähnlichen Energieform identisch sein, deren Wirkung sich mit unserem bisherigen Weltbild in Einklang bringen ließe. Es ist mehr ein Medium, das sich zwischen Materie und Geist bewegt. So kann es physische Funktionen im Körper unterstützen, indem es die verschiedenen Meridiane durchströmt. Gleichzeitig wirkt es aber dort, wo es vom Bewusstsein hingeleitet wird. Und das unabhängig von räumlicher Distanz und anscheinend über eine nicht-physische Dimension, die der Wissenschaft noch so gut wie unbekannt ist.
Dieser letzte Punkt wird auch von chinesischen Qigong-Meistern meist übersehen. Diese erklären das Aussenden und Empfangen von Qi oft mit Hilfe des Modells von Radio- und Fernsehwellen. Tatsache ist aber, dass keine Form von Welle irgendeine Distanz zurücklegt, sondern dass das Qi direkt dort wirkt, wo die Aufmerksamkeit des Geistes ist. Hier entsteht ein entscheidender Riss in unserem Weltbild.
Die wissenschaftliche Erforschung des Qi steht bisher noch am Anfang. Dr. Motoyama, der Wissenschaftler und zugleich ein anerkannter Yoga-Meister ist, kann daher nur als These formulieren, was zu erforschen noch ansteht: Aufgrund der Ergebnisse jahrelanger Versuchsreihen liegt für ihn die Vermutung nahe, dass jeder echte spirituelle Fortschritt mit einer vermehrten Aktivierung des Chakra- bzw. Des Meridiansystems einhergeht. Dabei spielt es keine Rolle, welcher religiösen oder esoterischen Tradition eine Person angehört.

Spirituelle Erfahrungen sind für Dr. Motoyama somit mehr als rein geistige Phänomene, denn sie hinterlassen Spuren im Energiesystem des Menschen und wirken auch auf den Körper zurück. Auf der physischen Ebene muss sich dies nicht unbedingt in äußerlich sichtbarer Vitalität niederschlagen. Gerade eine tugendhafte Geisteshaltung, die in vielen Traditionen durch langjährige Reinigungsübungen und Gebete angestrebt wird und die das zentrale Element aller Religionen ist, zeigt sich mehr in feineren Veränderungen des ganzen Wesens als in einem Zuwachs an Dynamik und Lebenskraft.
Dem Qi kommt dabei die Rolle eines Mediums zu, durch das spirituelle und religiöse Erfahrungen erst ermöglicht werden: es ist das Qi, durch das das Bewusstsein in der Grenzenlosigkeit wirkt. So schreibt Dr. Motoyama:

“Bewusstsein besitzt eine enorme Kraft. Es kann uns – und es tut es auch unbewusst – direkt mit dam Geist anderer Menschen und anderen materiellen Formen verbinden. Es ist nicht unbedingt durch die fünf Sinne, durch Zeit oder Raum begrenzt. Bewusstsein ist eine vereinigende Totalität, wie das schon Mystiker seit langem behauptet haben. Die trennenden Grenzen, die wir im täglichen Leben erfahren, sind schließlich nur Illusionen.”

Ich hoffe, dass es mit dem Beginn des nächsten Jahrtausends zu einer weiteren
Annäherung von Wissenschaft und Religionen untereinander kommt. Es ist wichtig, die Traditionen zu bewahren, aber gleichzeitig ist es auch von globaler Bedeutung, jenseits von kulturellen und emotionalen Interpretationen zu einem einheitlichen Verständnis der wirklichen Natur des Seins zu kommen. Das kann nicht nur für den einzelnen Menschen auf seinem Lebensweg hilfreich sein, sondern zudem kulturelle und religiöse Konflikte vermeiden oder zumindest verringern.
Die Erforschung der Meridiane, der Chakras und des Qis kann dazu ein wichtiger Schlüssel sein.

Das Heilende Tao

Das Heilende Tao, auch Universal Tao genannt, ist ein vom Qigong-Meister Mantak Chia begründetes System alter taoistischer Heilungs- und Meditationspraktiken. Neben einer Vielzahl von Qigong-Techniken umfasst es auch taoistische Methoden zur Kultivierung der Sexualenergie, innere Alchemie, Taijiquan, alte Shaolin-Praktiken zur Körperertüchtigung, daoistische Organmassage, Kenntnisse der Naturkräfte, Ernährungslehre und Fengshui.
Carsten Dohnke, selbst ausgebildeter Tao-Lehrer, stellt die Basiselemente dieses Systems vor, die beispielhaft taoistische Grundprinzipien verdeutlichen.

Das von Meister Mantak Chia entwickelte Übungssystem des Heilenden Tao unterteilt sich in zwei Stufen. Die Praktiken und Meditationen der ersten Stufe dienen generell der Selbstheilung: Sie verbessern die Gesundheit, lösen energetische Blockaden, vermehren und verfeinern die Energie im Körper und stärken die Kraft im unteren Dantien. Ganz bewusst werden sie als “Praktiken des heilenden Tao” bezeichnet.

Auf dieser soliden Basis folgen nach etwa fünf bis zehn Übungsjahren die spirituellen Praktiken. Sie werden von Meister Mantak Chia als “Praktiken des unsterblichen Tao” bezeichnet. Ideelles Ziel des “unsterblichen Tao” ist die Erschaffung eines Lichtkörpers, der aus dem physischen Körper hervorgeht und auch nach dem Tode in der geistigen Welt weiterexistiert. Deutliche Parallelen in Theorie und Praxis finden sich hierzu im tibetischen Buddhismus, in dem oft die Idee eines Regenbogenkörpers vertreten wird.

Der große Verdienst von Meister Mantak Chia ist es, dass er aus einer Vielzahl der daoistischen Praktiken, die sich in den letzten dreitausend Jahren in China entwickelt haben, essentielle Methoden und Übungen herausgenommen und zu einem neuen und in sich geschlossenen System verbunden hat. Das zeigt sich besonders in den “Praktiken des heilenden Tao”: Die zentralen Themen sind hier die Reinigung und Stärkung der inneren Organe und die Verdichtung der Lebenskraft zu einem Qi-Ball im Unterbauch. Beides geht zusammen: Fließt die Energie in den einzelnen Organen harmonisch und in Fülle, dann lässt sie sich auch leicht im unteren Dantien zentrieren.

 

DIE BASISPRAKTIKEN

Die Reinigung und Stärkung der inneren Organe hat vor allem das Ziel, ein “gutes und stabiles inneres Klima” zu schaffen: Die grundlegenden Qigong-Praktiken wie die Heilenden Laute und das Innere Lächeln dienen dazu, die negativen Emotionen innerlich – durch die Kraft des Geistes und des Qis – zu transformieren, Giftstoffe aus dem Körper zu leiten und die Harmonie der Organe untereinander zu stärken. So wird nicht nur der Körper innerlich gereinigt, sondern auch eine ausgeglichene und heitere Geisteshaltung entwickelt.

Die Zentrierung der Lebenskraft im unteren Dantian fördert die gesamte Vitalität und ermöglicht es, die Energie zu speichern. Im Heilenden Tao dient die Bildung eines Qi-Balls im Dantien-Bereich dem Aufbau eines inneren Gravitationsfeldes. Deshalb spricht Meister Mantak Chia auch von der Verdichtung und Kondensierung der Qi-Energie: Durch die Vorstellung eines inneren Sogs, anfangs kombiniert mit einer leichten Anspannung der Ringmuskeln der Augen und umgekehrter Bauchatmung, wird die Energie im unteren Dantien komprimiert und allmählich zu einer glühenden und hell scheinenden Lichtperle veredelt. Diese zieht durch ihre “Gravitationskraft” automatisch die Kräfte der Natur, der Erde und des Kosmos an. Diese Kräfte lässt der Praktizierende dann entlang des Kleinen Energiekreislaufs und weiterer Sondermeridiane zirkulieren, damit sie sich gleichmäßig im Organismus verteilen und dort, wo es nötig ist, Heilungsprozesse in Gang setzen. Das innere Gravitationsfeld lässt sich mit der Anziehung vergleichen, die die Sonne auf die Planeten unseres Planetensystems ausübt: Ohne die Sonne würde keiner der Planeten auf seiner Bahn gehalten werden. Ebenso verhält es sich mit dem unteren Dantien: Ist das Dantien geschwächt, so mangelt es an einem natürlichen magnetischen Feld und auf die den Menschen umgebenden Qi-Kräfte wird keine Anziehung mehr ausgeübt.

Der taoistische “Novize” erlernt und praktiziert die verschiedenen Basistechniken des Heilenden Tao erst einmal separat. Dazu gehören verschiedene “Eisenhemdübungen”, alte Praktiken der Shaolin-Tradition zur Ausbildung eines stählernen Körpers und zur Verbesserung von Haltung und Knochenstruktur. Bereits nach kurzer Übungszeit lässt der Praktizierende zusätzlich die Sexualenergie durch den Kleinen Kreislauf fließen. Die Kraft der Ovarien bzw. der Hoden wird teilweise dem Fortpflanzungsprozess entzogen und steht zur Versorgung und Heilung der inneren Organe, der Drüsen, und des Gehirns zur Verfügung. Dies ist eine alte taoistische Praxis, die im Chinesischen auch als “Huan Jing Bu Nao” bezeichnet wird: “Die Umkehrung des Spermaflusses zur Nährung des Gehirns”.
Auf der nächsten Übungsstufe – der “Fusion der Elemente” – erfolgt eine Synthese des Gelernten: Die verdichtete Energie im unteren Dantien wird von solcher Intensität, dass sie gleichzeitig die gereinigten Energien der Organe und die Kräfte der Natur anziehen kann. Diese gestärkte innere Lichtperle wird nun zusammen mit der Sexualenergie durch den Kleinen Kreislauf, die Sondermeridiane und die Drüsen geleitet.

 

DIE “FUSION DER ELEMENTE”

Die Praktiken der “Fusion der Elemente” dienen in erster Linie der Transformation negativer Emotionen und der Ausbildung tugendhafter Qualitäten. Sie sind der erste Schritt der inneren daoistischen Alchemie: Die Energie wird erstens innerlich gereinigt und harmonisiert, zweitens im Zentrum verdichtet, drittens durch Zirkulation entlang der Meridiane verfeinert und viertens durch neue Energien aus der Natur und dem Universum vermehrt. Die im menschlichen Körper zu einer neuen und verfeinerten Form verschmolzene Energie dient dem Ziel, allmählich die Schwingungsfrequenz des gesamten Organismus zu erhöhen und von der Zellebene aus einen inneren Regenerations- und Selbstheilungsprozess einzuleiten. Zudem führt sie zu einer extremen Öffnung und Aktivierung der Energiebahnen.

Derjenige, die die “Fusion” praktiziert, hat dabei die Möglichkeit, je nach angeborener Schwäche oder momentaner Lebenssituation das eine oder andere Organ oder Naturelement mehr zu betonen. So kann er selbständig sein emotionales und physisches Gleichgewicht wiederherstellen und – auf längere Sicht gesehen – allmählich tiefergehende alte Verhaltensmuster auflösen.

Da sich gezeigt hat, dass die Wirkung der taoistischen Meditationen ohne eine gute körperliche Basis sehr begrenzt ist, nehmen neben den rein energetischen Praktiken auch Taiji, die bereits erwähnten Eisenhemd-Übungen und “Chi-Nei-Tsang”, eine von Meister Mantak Chia entwickelte Organmassage, einen wichtigen Stellenwert im System des Heilenden Tao ein. Auch all diesen Praktiken ist gemein, dass sie sich gezielt mit den Organenergien und der Zentrierung der Lebenskraft im Dantien beschäftigen. Taiji und die Eisenhemd-Übungen betonen die Verwurzelung in der Erde. Dem Dao-Schüler wird so die Möglichkeit gegeben, parallel zur meditativen inneren Schulung seine körperliche Konstitution zu stärken, so dass er – aufbauend auf einem guten physischen Fundament – allmählich zu immer feineren und subtileren Praktiken übergehen kann.

 

“KAN & LI”: DIE VERMÄHLUNG VON FEUER & WASSER

Die spirituellen Praktiken des Heilenden Tao tragen den Namen “Kan und Li”. Es handelt sich um hohe Praktiken aus der taoistischen Tradition der inneren Alchimie. Ihre Meisterung bedarf vieler Jahre oder sogar Jahrzehnte des intensiven Übens. Die Begriffe Kan und Li beziehen sich dabei auf zwei der acht Trigramme des alten Orakelklassikers Yijing: “Kan” symbolisiert die heißen Kräfte des Feuers und “Li” die kühlenden Energien des Wassers.
Der daoistische Adept, der sich viele Jahre der Meditation und der inneren Alchemie hingibt, spürt die Kräfte des Feuers besonders im Herzen und im übrigen oberen Körperbereich. Sie werden verstärkt durch die hochfrequenten und ebenfalls heißen Energien des Himmels und der Sterne, die während der Meditationspraxis durch den Scheitelpunkt in den Körper eindringen. Die kühlen Kräfte des Elementes Wasser weilen hauptsächlich in den Nieren und den Sexualorganen. Die oft blau erscheinende Erdenergie, die durch die Sogwirkung der zentrierten Kraft des unteren Dantian über die Fußsohlen in die Beine aufsteigt, macht einen weiteren Anteil der kühlen Energien aus.

Der Tradition der Chinesischen Medizin und des Taoismus folgend, trennen sich die heißen und die kühlen Energien im Körper im Laufe des Lebens immer mehr voneinander und werden dabei zunehmend schwächer. Als Folge tritt im Alter der natürliche Tod ein. Die entsprechenden Symptome sind auch der westlichen Medizin bekannt: Ältere Menschen leiden häufig unter Muskelschwäche im Beckenbodenbereich, Blasenschwäche und Ödemen in den Beinen. Gleichzeitig klagen sie über aufsteigende Hitze und andere “Feuersymptome”.

Der taoistische Adept, der sich der Praxis des Kan und Li widmet, möchte den Zerfall der Elemente und den natürlichen Alterungsprozess nicht nur harmonisch verlaufen lassen oder verlangsamen, sondern innerlich umkehren : die verschiedenen Kräfte sollen sich im Körper zu einer neuen Form des Lebens verbinden: Kan steht nicht mehr Li ausgleichend gegenüber, sondern das Wasser verdampft im Körper über dem Feuer. Das ist das wesentliche Element der inneren Alchimie. In den taoistischen Klassikern wird dieser Prozess als “dem Verlauf der Natur entgegenwirken” bezeichnet.

Strebt der Orakelmeister oder Kenner des Yijings danach, durch das Erkennen des Wandels und der Spannungszustände der Natur und des Lebens allgemein in Einklang und Harmonie zu leben, so geht der Alchimist einen Schritt weiter: Er hat das Verlangen nach Evolution und innerer Entwicklung und verwandelt durch seine Praxis die Materie, die dem Zerfall unterlegen ist, langsam in Licht. Der Körper ist sein Medium.

In der Praxis sieht die Vermählung von Kan und Li so aus: Die Lichtperle des unteren Dantien wird beim fortgeschrittenen Adepten zu einer Art “innerem Schmelztiegel”: Das Feuer wird durch die inneren Energiebahnen des Körpers tief in das untere Dantien geleitet und bildet den Ofen. Die Kräfte des Wassers werden zu einem kühlen Lichtball gebündelt und langsam über den Ofen hinaufgeführt. Die Kunst besteht nun darin, das Wasser nicht ins Feuer fallen zu lassen, sondern allmählich zu senken und über dem Feuer zu stoppen. Was dann passiert, bezeichnen die Daoisten als “inneren Geschlechtsverkehr”. Es kommt zur Vermählung beider Kräfte. Die Sexualenergie, die einen großen Teil der kühlenden Wasserkräfte ausmacht, wird durch das innere Feuer in ihrer Qualität verfeinert und in kühlenden Dampf verwandelt. Dieser Dampf nährt den ganzen Organismus von innen her. Er wird vom Adepten bewusst und Schritt für Schritt in die einzelnen Organe, die Drüsen, die Meridiane, das Gehirn und die Lymphbahnen geleitet.

Ziel ist, dass nach Jahren der Praxis, wenn der innere Selbstreinigungsprozess abgeschlossen ist, aus der überschüssigen verfeinerten Energie ein geistiger Körper hervorgeht, der – separat vom physischen Körper – in der geistigen Welt reisen kann. Dieser “Lichtkörper” wird in der taoistischen Tradition auch als “Inneres Kind” bezeichnet. Damit wird der tiefere Sinn des “inneren Geschlechtsverkehrs” deutlich: Der fortgeschrittene Taoist lenkt seine Fortpflanzungsenergie nach innen und “befruchtet” sich selbst. Zusammen mit den Energien der Naturelemente formt sich eine neue innere Kraft, die zu geistigem Wachstum führt.

Im System des Heilenden Tao werden qualitativ sehr wertvolle Praktiken der alten taoistischen Tradition vermittelt, von denen viele im alten China nur an Eingeweihte wiedergegeben wurden. Die Meisterung dieser Praktiken ist eine Lebensaufgabe. Für den modernen westlichen Schüler, der mit den extremen Sinnesreizen unserer schnelllebigen Medien- und Informationsgesellschaft aufgewachsen ist und der komplexe Meditationen auf Wochenendkursen lernt, birgt das gewisse Gefahren: Beginnt er zu schnell mit den spirituellen Praktiken, ohne auf einem soliden selbsterarbeiteten Fundament und langer eigener innerer Erfahrung aufzubauen, kann der innere “Lichtkörper” schnell zum Produkt der Phantasie werden. Zudem liegt es auch in der Eigenverantwortlichkeit des Schülers, den geistigen Weg des Tao nicht aus den Augen zu verlieren und sich neben dem Erlernen der Techniken intensiv mit seinem ganzen Leben auseinanderzusetzen.

Nicht geboren, nicht gestorben

In die tiefen Ebenen der Meditation wollte ich vordringen, in die „Dhyanas“ wie die Buddhisten sagen, in meditativen Zustände, in denen Verzückung, Glück und tiefer Frieden das (eigene) Sein durchtränken. Auf diesem Weg wollte ich lernen, liebevoll und offen durch die Welt zu gehen und andere auf ihrem Weg zu unterstützen. Mit diesem Ziel war ich schon so viele Male zuvor nach Asien aufgebrochen. Doch diesmal gab es einen Unterschied: Im Gegensatz zu den vorherigen Reisen meditierte ich nicht in einem Kloster, sondern in einer Dunkelkammer: drei Wochen lang wollte ich im Stockdusteren leben ohne auch nur eine Minute Licht, ohne meine Hände vor den Augen zu erkennen, ohne zu erblicken was ich aß und ohne jegliche Reize der Außenwelt, die meine Sinne ablenken könnten.

Angst, Einsamkeit und emotionale Krisen packen mich schon in den ersten Tagen. Ich weiß nicht, wo ich bin, stoße überall gegen, fühle mich total verloren und werde Opfer unzähliger bizarrer Traumbilder, die sich meines Geistes bemächtigen. Gleichzeitig erlebe ich in vielen Meditationen unerwartet innere orgastische Zustände; fühle, wie jede Zelle meines Körpers tanzt und sich dabei mit der Lebenskraft des Universums vereint. Diese ersten Tage sind ein Wechselbad der Gefühle.
Je mehr ich das Dunkel akzeptiere, innerlich wirklich loslasse und ganz entspanne, desto intensiver wird das Gefühl unendlicher Liebe in meinem Herzen. In der zweiten Woche wird der Frieden raumloser Weite zu meinem ständigen Begleiter. Die Bilder, die während meiner Wachträume nun in mir aufsteigen, kommen aus immer älteren Schichten meines Daseins. Und ich empfinde genau das, was im Dualismus des Alltags stets verloren geht: die ursprüngliche Geborgenheit eines Fötus im Mutterleib.
Nach ca. 14 Tagen habe ich innerlich mit dem Rückzug in die Dunkelheit abgeschlossen. Es wird unglaublich langweilig. Die Zeit wirkt wie gedehnt. Ich bin bereit, die Dunkelkammer zu verlassen. Ich habe meine Lektion gelernt – denke ich zumindest. Trotzdem meditiere ich weiterhin und genieße das Gefühl der Liebe und Stille im Herzen. Aber innerlich warte ich darauf, dass die „Tür zum Leben“ sich öffnen wird. Ich will neu geboren werden und hinaustreten ins Licht.
Doch plötzlich geschieht etwas Unerwartetes. Mich ergreift die Angst vor dem Tod. Der Tod durchdringt mein Wesen mit einer Gewaltigkeit, wie ich es mir nie hätte vorstellen können: Ich träume, sehe und fühle meinen Tod, den Tod meiner Frau, meiner Eltern und meiner Freunde. Tagelang! Das Leben hat seinen Zauber verloren: tanzen, im Meer schwimmen, leckere Speisen essen, küssen und sich lieben, alle diese Freuden erscheinen wie eine Flucht vor der Wahrheit! Und selbst der Glaube an Wiedergeburt wirkt im Angesicht des Todes wie ein kraftloser Heuchler, will er mir doch vormachen, dass ich unsterblich bin. Nichts macht mehr Sinn, nicht mal, aus diesem Dunkel herauszukommen. Denn das ist jetzt gewiss: Vor dem Tod gibt es kein Entkommen. Er wartet und holt mich zur rechten Zeit.

Hier geht es nicht weiter. Auf der Suche nach Frieden und Glück bin ich auf Granit gestoßen! Es ist sinnlos – ja unmöglich – permanenten inneren Frieden zu finden, wenn dieses Leben im Zerfall endet. Diese, meine Person kann nicht von Leiden befreit werden. Ihre Existenz beinhaltet bereits die Grundlage des Leidens! Innerlich gebe ich auf! Und so beginnt der Tod, mich noch tiefer in die Arme zu schließen.

Obwohl jede meiner Zellen von einer Angst und Ohnmacht durchdrungen ist, ist seit diesem Moment etwas anderes da, wie eine Ahnung, wie ein Gefühl, und doch habe ich nichts wahrgenommen. Es ist nicht wie das Licht am Ende eines Tunnels. Da ist weder Licht noch Tunnel. Es ist das, was immer schon da ist. Nie geboren und niemals gestorben. Ich will es greifen, aber es ist nicht greifbar. Es hat nichts zu tun mit irgendeiner Meditation oder Praxis. Es ist weder Sein noch Nicht-Sein. Es fühlt sich eher an wie ein Nebel, der alles umfängt. In ihm liegt die Quelle der Liebe. Und in ihm liegt das Tor zur Freiheit. Das Tor zu durchschreiten bedeutet zu sterben, wie in einer Flamme zu verbrennen. Und das, was dann vielleicht geboren wird, ist etwas anderes, bin nicht mehr „ich“ selbst.

Als ich die Dunkelkammer nach drei Wochen verlasse, ist ganz tief in mir etwas verändert: Für einen ganz kleinen Moment habe ich ein tiefes Vertrauen in die „Essenz des Lebens“ gespürt, in die „Kraft des Tao“, wie die Chinesen sagen. Und ich ahne, dass es wichtig ist, diesen Samen des Vertrauens tiefer zu entwickeln, um mich ganz auf das Leben einzulassen, um die tiefen Ängste in mir aufzugeben, die nichts anderes tun, als permanent an der Illusion eines Ich zu stricken, dass ständig kämpfen, arbeiten und sich beweisen muss, um geliebt zu werden oder um einfach nur zu sein. Welch ein Scheintrug!

 

Presse

Qigong und Kochen

Was haben Qigong und Kochen miteinander zu tun?  Carsten Dohnke, Qigong Trainer aus Hamburg, überraschte uns mit diesem Vergleich.

 
Qigong bedeutet „Die Kunst, die eigene Lebenskraft zu nähren“.
Qigong zu praktizieren  ähnelt dem Kochen. Für ein gutes Gericht brauche ich verschiedene Zutaten, die miteinander verarbeitet werden und gut aufeinander abgestimmt sein sollten. Dann schmeckt es nicht nur lecker, sondern kann auch noch je nach Anforderung  variiert werden.

Beim Qigong unterscheiden wir drei wichtige „Zutaten“: Körperübungen, die Arbeit mit der Vorstellungskraft und stille Meditation. Durch deren Kombination entwickeln sich innere Stärke, der Fluss der Lebensenergie  wird aktiviert, Zellen, Organe und Immunsystem werden positiv beeinflusst und alte Emotionen wie z.B. Wut oder Angst können verarbeitet werden. Zudem stellt Qigong einen Gemütszustand  innerer Ruhe her. Wenn ich verstehe, wie diese Zutaten zusammenwirken, kann ich leicht ausmachen, was mir oder anderen fehlt. Das hilft mir, als Lehrer ein Seminar aufzubauen oder jemanden zu couchen.

Qigong basiert auf vier Prinzipien, die erklären, wie man am besten „kocht“:

1. loslassen und sich entspannen
2. die eigene Mitte finden

3. natürlich sein –  was auch bedeutet überflüssiges wegzulassen sowie mit der Kraft der Natur zu kooperieren und
4. mit  dem Leben  verschmelzen – das letzte Prinzip ist am wichtigsten. Es führt zu tiefer Kraft und innerem Frieden.
 
Qigong ist ein Teil der traditionellen chinesischen Medizin. Versteht man  die  Prinzipien der TCM – was ein wichtiger Aspekt meiner  Ausbildung ist –  wird sofort deutlich, was die verschiedenen Formen bzw. Stile bewirken. Zudem lässt sich das Resultat der Praktiken durch chinesische  Kräuter oder spezielle Ernährung wunderbar ergänzen.

Nicht die Methode, sondern der Mensch steht im Vordergrund. Menschen, die Qigong lernen wollen, verfolgen damit ganz unterschiedliche Ziele. Konkret: sie bestellen unterschiedliche Gerichte. Wenn ich die Wirkung der Zutaten kenne und gleichzeitig gut kochen kann, bin ich weniger einem bestimmten Rezept verhaftet. In China serviert ein guter Koch zudem nicht nur das, was bestellt wurde. Er sieht seinem Gast auch an, was ihm wirklich fehlt und zaubert als Angebot  ein weiteres Gericht auf den Tisch. Hier beginnt die wahre Kunst des Qigong!

Aufenthalt im Kloster

Carsten Dohnke hat über viele Jahre an ca. 13 Retreats im Kloster Suan Mohk in Thailand teilgenommen. Hier folgt ein kurzer Bericht mit vielen Informationen über das Retreat, den eine Lokalzeitung vor Jahren veröffentlichte.

Ajahn Pooh, der Abt des Klosters

Auf harten Pritschen schlafen. Statt einer warmen Dusche gibt es Regenwasser aus Schalen und morgens um 4.30 Uhr ist Wecken angesagt. Und darüber darf man sich noch nichtmal beschweren, denn geredet wird nicht – auch nicht in Zeichensprache

Trotzdem strahlen Carsten Dohnke und Hans-Joachim (Achim) Drews Begeisterung aus, wenn sie von ihrem zweiwöchigem Aufenthalt im thailändischen Kloster Suan Mokkh erzählen. Die sich gleichenden Tagesabläufe, das fettarme Essen und die genussmittelfreie Zeit (Zigaretten und Alkohol sind strengstens verboten) machen den Kopf klar und erleichtern den Einstieg in die Meditation (“Wir hatten nie das Gefühl von Mangel, sondern im Gegenteil von Fülle – es quillt in einem förmlich über”). Für die beiden Freunde sind Meditation und Spiritualität kein Neuland: Achim hat sich bereits als 12-Jähriger mit “dem, was man nicht sehen kann” auseinandergesetzt, hat Zeit seines Lebens das Interesse nicht verloren, ist auf die Suche gegangen. Die Erfahrungen des gelernten Schriftsetzers reichen über den Zen-Buddhismus (“Durch Härte schmelzen”) bis hin zur Psychoanalyse. Achim hat mit 26 Jahren geheiratet, zwei Söhne bekommen und 1980 den Wolkentor-Verlag gegründet. Dort gab er ein paar Jahre lang Gedichtbände, Märchenbücher und Bücher über bewußte Träume heraus: “Eine gute Zeit. Ich habe viel über Esoterik gelernt”. Doch befriedigende “Antworten” fand er erst, als Carsten Dohnke in seiner Heimatstadt Geesthacht seinen Weg kreuzt: “Ich habe jahrelang einen Lehrer gesucht und finde ihn gleich nebenan”, amüsiert sich der 52-Jährige noch heute.

Carsten ist auch in Geesthacht aufgewachsen und Lehrer für Qigong, Taiji und Meditation. Bei ihm begann der Weg, als er mit 14 Jahren feststellte: “Mir fehlt etwas. Lebensdynamik und Lebenskraft.” Dann erlernte er Kung Fu. Mit 19 kam er vom Körper zum Geist, vom Kampf zur Meditation. (“In der Jugend sind wir Kämpfer – im Alter werden wir Heiler”). Seitdem hat sich Carsten Dohnke zum Kampfkunstexperten entwickelt, hat Heil und Meditationstechniken erlernt und in Hamburg Sinologie studiert. Vier Jahre studierte der Geesthachter direkt in Asien, ist außerdem langjähriger Assistent und Übersetzer des bekannten Taiji- und Tao-Meisters Mantak Chia. “Ganz perfekt bin ich noch nicht”, sagt Carsten. “Meine Frau lacht manchmal recht herzhaft über meine Aussprache”. Frau Dr. Weihua Dohnke muss es wissen: Die Ärztin kommt aus Südchina.

Die Erfahrung im Kloster wollen Achim und Carsten unbedingt wiederholen: “Es ist ein Ereignis mit 140 Leuten gemeinsam still zu essen. Und diese Sonnenauf- und -untergänge, diese subtropischeLandschaft ist unbeschreiblich.” In der Nähe des Klosters können Besucher sogar in heissen Quellen baden – Entspannung pur.
“Nach drei Tagen verliert man jegliches westliches Zeitgefühl, passt sich dem Tagesrhythmus des Klosters ganz automatisch an und lernt in die Stille zu kommen”, beschreibt Achim sein Gefühl. Und wer viel Meditationserfahrung hat, kann den physischen Körper während der Meditation “verlassen”, mit dem Raum verschmelzen: “Ein Gefühl von Glück und Frieden”, sagt Carsten. Die Buddhisten meinen: “Solange ein Ich da ist, ist Leiden in der Welt”.

Informationen über das Kloster Suan Mokkh unter:
www.suanmokkh.org

Interview mit Meister Mantak Chia

Geistige Unsterblichkeit ist das höchste Ziel. Mantak Chia entwickelte nach jahrelanger Forschungsarbeit das System des “Heilenden Tao”. Dabei handelt es sich um Techniken, die zur Mobilisierung und Erweiterung der Energiekapazität im Körper bei gleichzeitiger Entspannung beitragen. Carsten Dohnke sprach mit dem Qigong-Meister über spirituelles Wachstum, das “Innere Lächeln” und die Kraft der Liebe.

Carsten Dohnke: Sie sind der Begründer des “Healing Tao” Systems. Worum geht es dabei?

Mantak Chia: Das erste Ziel ist, dass die Menschen lernen sich selbst zu heilen und spirituell unabhängig zu sein. Das längerfristige Ziel ist spirituelles Wachstum und das höchste Ziel ist das Erreichen geistiger Unsterblichkeit.

CD: Wie wichtig ist die Kraft der Liebe für ihre Arbeit?

MC: Im Taoismus geht Liebe immer einher mit Sexualität. Liebe und Sexualität sind die wichtigsten Energien des Menschen und zudem die elementarsten Kräfte in den Zellen unseres Organismus. Sie helfen, dass die Zellen sich besser teilen und nicht so schnell altern. Indem wir die Sexualkräfte und die Liebesenergie während der Praxis in unsere Organe lenken, können wir alten Ballast, der “auf den Organen liegt” loslassen und fühlen uns sowohl körperlich als auch seelisch erneuert. Diese Energie wird auch in der Zellteilung weitergetragen.

CD: Und wie wichtig ist die Kraft der Liebe in ihrem Privatleben?

MC: Liebe und Sex sind für jeden Menschen wichtig! (lacht) Ohne Liebe wäre mein Leben nicht viel wert. Ich würde mich energielos fühlen.

CD: Bitte erklären Sie uns die Techniken des “Inneren Lächelns” und die der “Sechs heilenden Laute”.

MC: Das “Innere Lächeln” ist die wichtigste Basispraxis im Heilenden Tao. Durch sie kommt man tief in Kontakt mit seinen Organen, mit den Zellen und auch mit der eigenen genetischen Struktur. Wenn Sie lernen nach Innen zu lächeln, bringen Sie Energie in ihr System und ihre Organe. So kommt es zur Einheit zwischen Körper und Geist. Bei den “Sechs Heilenden Lauten” wirkt das gleiche Prinzip: Man benutzt Töne und bestimmte Handhaltungen für die Heilung der einzelnen Organe. Damit transformiert man negative Energie in positive Lebenskraft und balanciert zugleich die Organe untereinander aus. Dies entspricht der alten chinesischen Lehre der fünf Elemente. Es kommt zu innerer und äußerer Harmonie.

CD: Wie können wir unsere Lebensenergie steigern?

MC: Viele Menschen haben bisher noch nicht gelernt, wie sie ihren Körper mit Energie aufladen können. Das ist schade, denn eigentlich ist es ganz leicht. Wir müssen zunächst die Energie im Dan Tien fühlen. Dieses wichtige Energiezentrum liegt in der Mitte des Unterbauchs zwischen Nabel und Nieren. Wenn wir das Dan Tien aktivieren, spüren wir eine Art innere spiralisierende Kraft in diesem Zentrum. Wenn wir dann mit dem Geist die Unendlichkeit und die Spiralkraft des Universums fühlen und sie mittels tiefer Atmung aufnehmen, wird das Dan Tien automatisch mit universeller Energie aufgeladen. Geht diese Energie noch tiefer, erfüllt sie auch die einzelnen Organe und im höchsten Stadium durchdringt sie sogar die Knochen und das Mark.

CD: Welchen Sinn macht es, Energie in die Knochen zu bringen?

MC: Nach taoistischer Lehre ist es wichtig, den ganzen Körper mit Energie zu durchtränken. Der Alterungsprozess kann so verlangsamt und viele innere Krankheiten können geheilt werden. Außerdem können wir die gespeicherte Energie für die Bewältigung des Alltags und für unser spirituelles Wachstum nutzen.

CD: Was vermitteln Sie im Tao-Yoga-Grundkurs in Hamburg?

MC: Am Freitagabend zeige ich die Übungen der “Heilenden Liebe” und die Aktivierung der Multi-Orgasmischen Energie. Am Wochenende lehre ich dann die “Heilenden Laute”, das “Innere Lächeln” und schließlich auch den “Kleinen- und den Großen Energiekreislauf”. All diese Übungen harmonisieren die Yin- und die Yang-Energien im Körper und helfen uns gesünder, glücklicher und mit mehr Leichtigkeit durchs Leben zu gehen.

CD: Bei welchen Meistern haben Sie gelernt?

MC: Mein Hauptlehrer heißt White Cloud, Weiße Wolke. Er ist ein chinesischer taoistischer Meister, der viele Jahre in den Bergen praktiziert hat.

CD: Sie haben Ihre Unterrichtsmethode in den letzten Jahren weiterentwickelt. Was hat sich verändert?

MC: Die Praktiken sind weiterhin die selben. Jedoch die Art und Weise, wie ich sie vermittle, habe ich verändert. Sehr viele Erkenntnisse des Taoismus wurden in den letzten Jahren durch westliche Wissenschaftler belegt. Diese Erkenntnisse integriere ich in den Unterricht. Beispielsweise werde ich an Bildern von kristallisiertem Wasser darstellen, wie sich die Struktur des Wassers durch die Übertragung von liebevoller Energie drastisch verändert.

Essenz des Tao mit Carsten Dohnke

Qigong für Fortgeschrittene

In dem einwöchigen Seminar »Die Essenz des Tao« wurden Übungen aus verschiedenen Schulen des Qigong vermittelt. Grundsätzlich betonte der Seminarleiter Carsten Dohnke die Wichtigkeit, die Praktiken der verschiedenen Traditionen des Qigong zu trennen, da jedes System in sich sinnvoll aufgebaut ist und die Vermischung kontraproduktiv sein kann. Darum waren die Übungen unterschiedlicher Traditionen auf verschiedene Tage aufgeteilt und wurden separat vermittelt. Ich selbst war an drei Tagen anwesend, von denen zwei Tage dem Kleinen Energiekreislauf nach den Methoden von Mantak Chia gewidmet waren. Am dritten Tag wurde, unter Leitung seiner Frau Dr. Weihua Dohnke, die Chinesische Medizin und Ernährungslehre behandelt.

Die gemeinsame Übungszeit umfasste täglich zwei Blöcke von drei Stunden, mit Pausen, in denen es Tee und kleine Snacks gab. In der Regel wurden abends noch Wiederholungen der Übungen oder stille Meditation angeboten. Begonnen wurde stets mit einer fünfzehnminütigen stillen Meditation, die von Dohnke mit buddhistischen Mantren eingeleitet wurde. Dies empfand ich als sehr hilfreich, um bei sich selbst anzukommen.

Am ersten Tag führte Dohnke den Energiekreislauf theoretisch ein, erläuterte ihn anhand farbiger schematischer Darstellungen und band ihn in den soziokulturellen und historischen Kontext Chinas ein. Diese Belehrungen empfand ich als sehr interessant und nie zu trocken. Wiederholt streute Dohnke Anekdoten aus seinem reichen Erfahrungsschatz ein, so dass eine entspannte und humorvolle Stimmung herrschte. Nichtsdestotrotz wurde die Thematik des Körpers und seines Energiesystems sehr ernsthaft behandelt. Immer wieder fragte Dohnke nach Feedback aus den Reihen der Teilnehmer und ging auf deren Fragen ein, soweit sie für alle Teilnehmer hilfreich waren. Intensivere Gespräche zu individuellen Problemstellungen bot er für die Pausen an.

Mit großer Strahlkraft und Hingabe führte Dohnke in den zwei Tagen durch zahlreiche vorbereitende Aufwärm-und Qigong-Übungen. Wiederholt betonte er die Bedeutung des Nierenzentrums und des Nabels als Basis für den Energiekreislauf des ganzen Körpers. Praktiken, die die »Kraft der Mitte« fördern, sieht er als die wichtigsten Übungen des Qigong an. Insgesamt wechselten sich stehende und sitzende, bewegte und meditative Übungen ab. Zusätzlich streute er Übungen der Akupressur und der Selbstmassage ein. Diese abwechslungsreiche Gestaltung empfand ich als sehr angenehm. So leitete er die Teilnehmer behutsam zur Übung des Energiekreislaufs an, die dann auch für einen eher unerfahrenen Schüler wie mich ein voller Erfolg wurde.

Bei diesem intensiven, jährlich stattfindenden Sommer-Retreat handelt es sich eher um eine Veranstaltung für Fortgeschrittene oder zumindest für Menschen, die bereits einige Vorkenntnisse in den Bereichen Qigong und Meditation haben. Insgesamt ein empfehlenswertes Seminar für jeden, der seine Kenntnisse im Bereich chinesischer Körperübungen vertiefen will.

Ellen Jacobs, Jg. 1976, M.A. der Religionswissenschaft und Ethnologie, lebt in Heidelberg und beschäftigt sich intensiv mit traditionellen Heilmethoden und fernöstlichen Bewegungsformen.

Auf einen Blick

Leitung: Carsten Dohnke Kosten: 85 € pro Tag (einzeln buchbar)
Dauer: 8 Tage
Ort: Seminarzentrum Dorflinde Grasellenbach/Odenwald
Voraussetzungen: Qigong Erfahrung von Vorteil
Kontakt: carsten-dohnke@tao-hamburg.com

Unsere Bewertung

Seminarort: 3 von 5 Sternen
Organisation: 5 von 5 Sternen
Preiswürdigkeit: 5 von 5 Sternen
Seminarziel: 5 von 5 Sternen
Seminarleitung: 5 von 5 Sternen
Didaktik: 5 von 5 Sternen

Erschienen bei connection www.connection.de